Gelebte Tradition: Interview mit Brauchtumsforscher Werner Mezger Freizeit | 11.02.2020 | Arwen Stock

Rottweiler-Narrensprung---Schantle

Zweimal wäre sie fast ausgestorben: die Fastnacht. In welcher Gestalt der närrische Geist dieses Kulturgut gerettet hat, darüber spricht der Brauchtumsforscher Werner Mezger mit REGIO- Redakteurin Arwen Stock im Interview.

Lust auf REGIO: Herr Mezger, wie weit reicht die Fastnachtstraditon in der REGIO zurück?

Werner Mezger: In einzelnen Fastnachtshochburgen wie etwa Villingen oder Rottweil ist sie bis zu 500 Jahre alt. Aber die allermeisten Orte haben jüngere Traditionen, oder die Wurzeln sind nicht so weit zurückverfolgbar. Im Elsass gab es früher auch bedeutende Fastnachten, jedoch hat die Französische Revolution dort das meiste ausgelöscht. Etwas ganz Spezielles ist die Basler Fastnacht, die ebenfalls eine lange Geschichte hat, ihre heutige Form jedoch erst ab dem 19. Jahrhundert entwickelte.

Lust auf REGIO: Gab es von Anfang an Kostüme und Masken?

W. Mezger: Sie sind ab dem 15. Jahrhundert dazugekommen. Ursprünglich dominierten Teufelsmasken, die übrigens aus dem Prozessionswesen stammten. Dort traten nämlich in einer Art mobilem geistlichem Schauspiel auch Teufel auf, und deren Kostüme durfte man in der Fastnacht ausleihen.

Lust auf REGIO: Welche Rolle spielte die Kirche?

W. Mezger: Die Kirche spielte durch die 40-tägige Fastenzeit vor Ostern die zentrale Rolle. Man hat vor dem Aschermittwoch noch die Speisen aufgebraucht, die man in der Fastenzeit nicht verzehren durfte: Fleisch, Geflügel, Schmalz, Eier, Milch, Butter, Alkohol. Beim gemeinsamen Essen und Trinken vor dem Fastenbeginn bildeten sich dann rasch weitere Feierformen heraus: Musizieren, Tanzen, Wettkämpfe. Die Fastnacht hat sich also evolutionär entwickelt.

Lust auf REGIO: Warum wird an einigen Orten, wie in Basel, sieben Tage später gefeiert?

W. Mezger: Das hat etwas mit der Berechnung der Fastenzeit zu tun. Ursprünglich hat man vor Ostern 40 Tage ununterbrochen durchgefastet. Später galten dann die Sonntage als Ausnahmetage, weshalb der Aschermittwoch nicht 40, sondern 46 Tage vor Ostern liegt. Wo allerdings die alte Regelung weiter galt, war Fastnacht eben eine Woche später. So ist es in Basel.

Lust auf REGIO: Sind Fastnacht und Karneval im Rheinland miteinander verwandt?

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Der Brauch- und Festforscher gilt als der Werner Mezger, Experte schlechthin zur schwäbisch-alemannischen Fastnacht.

W. Mezger: Früher hat man in ganz Deutschland sehr ähnlich gefeiert. Bis die Fastnacht durch die Aufklärung, die Napoleonischen Kriege, durch Fremdbesatzungen und neue Landesherren Ende des 18. Jahrhunderts überall kurz vor dem Aus stand. Im Südwesten gab es 1809 totale Fastnachtsverbote. 1823 hat dann Köln einen Neuanfang gemacht und eine romantisch veredelte, bürgerlich gesittete Form des Feierns kreiert, die allgemein Akzeptanz fand. Das war die Geburtsstunde des rheinischen Karnevals.

Lust auf REGIO: Wie kam es dann zum Siegeszug des Karnevals?

W. Mezger: Diesem Vorbild folgten nach wenigen Jahren Düsseldorf, Aachen und Mainz. Und das wiederum hat so große Wirkung gehabt, dass man bald auch im deutschen Südwesten begann, Karneval nach rheinischem Muster zu feiern. Erst am Ende des 19. Jahrhunderts kehrte man hier wieder zu den alten Formen der Fastnacht zurück und löste sich vom Karneval. Ab jetzt gab es im Südwesten wieder die ursprünglichen Vermummungen mit Gesichtsmasken.

Lust auf REGIO: Mit großem Erfolg, wie man heute sieht.

W. Mezger: Ja, aber nicht auf direktem Weg. 1924 wurde die Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte (VSAN) gegründet, und zwar aus gegebenem Anlass: Seit Beginn des Ersten Weltkriegs war die Fastnacht ausgefallen, und sie blieb auch noch in den Krisenjahren der Nachkriegszeit verboten. Eben dagegen wandte sich der Zusammenschluss, der bis heute wichtig ist: Auf seine Initiative hin wurde 2014 die schwäbisch-alemannische Fastnacht in die nationale Liste des UNESCO-
Kulturerbes aufgenommen.

Lust auf REGIO: Heute sind Hexenfiguren total in. War das schon immer so?

W. Mezger: Die Hexen sind hier erst um 1930 im Raum Offenburg aufgetaucht. Daraus ist mittlerweile eine Art Hexeninflation geworden, die von den Verbänden – es gibt inzwischen mehrere – eher eingedämmt wird. Generell aber sind Neugründungen von Narrengruppen durchaus positiv, zeigen sie doch, dass die Fastnacht lebt.

Lust auf REGIO: Wie verbringen Sie persönlich die närrischen Hochtage?

W. Mezger: Als alteingesessener Rottweiler mache ich bei der dortigen Fastnacht mit, mal in dieser, mal in jener Maskenfigur. An Fastnacht selbst gibt es bei mir keine anderen Verpflichtungen mehr, auch kein Fernsehen. Da bin ich anonym und unkenntlich einer unter vielen Narren.

Fotos: © Hak Design, Daniel Fleig/Narrenzunft Elzach, IVDE Freiburg