Magische Pflanzen – Nachtschattengewächse & Co. Haus & Garten | 16.04.2024 | Frank von Berger

Ringelblumen

Obwohl in unseren Breiten der Frühling schon im März Einzug gehalten hat – in diesem Jahr besonders früh –, gilt eigentlich der April als „Wendemonat“: In raueren Gegenden weicht Ende des Monats endgültig der Winter. Kein Wunder, dass viele Völker angesichts aufplatzender Knospen und sprießender Triebe an das Wirken über­natürlicher Kräfte glaubten und um diese Zeit ein Frühlingsfest feierten.

Frühlingsfeste gibt es schon seit Urzeiten. Bereits die Kelten feierten in der Nacht zum ersten Mai das Ende des Winters mit einem „Beltane“ genannten Fest. Als die ersten christlichen Missionare im Mittelalter nach West- und Mitteleuropa kamen, versuchten sie, die alten Bräuche zu verdrängen und brachten den heidnischen Stämmen die christlichen Heiligen und deren Feiertage nahe. So kam es, dass die Nacht zum ersten Mai in „Walpurgisnacht“ umbenannt wurde. Namensgebend war Walpurga, eine Benediktineräbtissin, die hundert Jahre nach ihrem Tod um das Jahr 779 heiliggesprochen wurde. 

Laut Überlieferung treffen sich in der Walpurgisnacht die Hexen auf dem Brocken im Harz zum Tanz und anderen Ausschweifungen. Rausch und Ekstase gehörten zu einer solchen Sause natürlich dazu. Schon der alte Dichtervater Goethe berichtete im ersten Teil seines Dramas „Faust“ davon. Die Wunderpillen der pharmazeutischen Industrie von heute zum Rauf- oder Runterkommen gab es damals noch nicht. Früher putschten sich die Hexen mit Powerdrinks aus Kräutern, Früchten, Fliegenpilzen und anderen Präparaten aus der heimischen Natur auf. Zu den wildesten und wirksamsten psychoaktiven Pflanzen gehören bis heute einige Vertreter der Nachtschattengewächse (Solanaceae). 

Zauberpflanzen für die Hexensalbe

Schon der Name dieser Gattung verheißt nichts Gutes: Nachtschatten – dunkler als nachtschattig geht es kaum. Das klingt düster, gefährlich und ziemlich giftig. Viele dieser Gewächse enthalten tatsächlich giftige Alkaloide, die Rauschzustände hervorrufen, aber auch zu schweren Vergiftungen führen können. Dämonische Kräfte schlummern zum Beispiel in Pflanzen wie Tollkirsche (Atropa belladonna), Stechapfel (Datura stramonium) und Schwarzem Bilsenkraut (Hyoscyamus niger). Diese Kräuter waren unter anderem Bestandteil der legendären Hexensalben. Mit dieser „Schmier“, wie die angeblich sogar zum Fliegen taugenden Salben auch genannt wurden, sollen sich die zauberkundigen Frauen damals eingerieben haben, um sich zu beflügeln. Denn das Fliegen war nötig, um ekstatische Abenteuer jenseits des heimischen Herds zu erleben. Die dank der Drogen wild gewordenen Weiber flogen angeblich ruckzuck zum Hexen­sabbat auf den Blocksberg, wie der Brocken im Harz auch genannt wird. Von Johann Hartlieb, der im 15. Jahrhundert eines der ersten deutschen Kräuterbücher schrieb, ist die Rezeptur einer dieser Hexensalben überliefert. Sie enthielt unter anderem Kräuter und „ettlichs schmaltz von tieren“ sowie andere sehr unappetitliche Zutaten.

Tollkirsche

Nachtschattengewächse mit psychoaktiver Wirkung: Tollkirsche

Ein Bestandteil der legendären Hexensalben war oft die Alraunwurzel oder Alraune (Mandragora officinarum), die schon in der Antike als Zauberpflanze geschätzt wurde. Sie galt als Aphrodisiakum, Narkotikum und schmerzstillende Droge. Im Mittelalter wurde die Wurzel bevorzugt bei Neumond unter dem Galgen ausgegraben und diente dann zum obskuren Gebrauch bei allerlei Hexereien. Das auch in Sagen und Märchen zitierte Nachtschattengewächs bekam vom Volksmund daher auch die Trivialnamen Galgen- oder Erd­männchen. Die Pflanze stammt ursprünglich aus dem Mittelmeerraum, wächst aber auch hierzulande. Angeblich schreit die Alraune, wenn ihre Wurzel ausge­graben wird. Diese Legende hielt übrigens auch in den Harry-Potter-­Geschichten von J. K. Rowling Einzug.

Lauter hexige Gewächse 

Andere als „Hexenkräuter“ bezeichnete Pflanzen haben eine nicht ganz so mythisch behaftete Geschichte und tragen, aus heute meist vergessenen Gründen, den Namen „Hexe“ im Namen. So nennt der Volksmund die Wedel der Farne auch „Hexenleiter“ und den zurzeit in feuchten Wäldern sprießenden Bärlauch „Hexenzwiebel“. Verschiedene Wolfsmilchgewächse (Euphorbiaceae) wurden, wohl wegen ihres giftigen Milchsaftes, auch „Hexenmilch“ genannt, ebenso das Schöllkraut (Chelidonium majus), ein Mohngewächs. Die unscheinbare, durchs Unterholz kriechende, in allen Teilen giftige Haselwurz (Asarum europaeum) heißt im Volksmund „Hexenrauch“, und der in Bäumen wachsende Halbschmarotzer Mistel (Viscum album) war früher unter den Namen „Hexenbesen“ oder „Hexennest“ bekannt.

Mistel

„Hexennest“ nennt der Volksmund die heilkräftige Mistel. Sie durfte bei keinem Liebeszauber fehlen.

Magische Kräfte

Andere Gewächse verdienen aus Sicht aller Gärtnernden schon mit mehr Berechtigung das Prädikat einer Hexenpflanze. Wer einmal versucht hat, ein wild wucherndes, eigentlich recht unschein­bares Kraut namens Circaea lutetiana auszurotten, weiß, warum es unter dem Namen „Hexenkraut“ bekannt und gefürchtet ist. Es scheint wahrhaftig über magische Kräfte zu verfügen. Wird es ausgerissen, ohne die Wurzelausläufer mit zu entfernen, erscheint es kurze Zeit später erneut – und oft zahlreicher als zuvor, weil alle im Boden verbliebenen kleinen Wurzelstückchen munter wieder austreiben. Sie überstehen sogar eine konventionelle Kompostierung schadlos. Also sollte gejätetes Hexenkraut am besten in der Bio-Tonne entsorgt werden.

Liebeszauber

Im Garten gern gesehene Kräuter mit zauberhafter Wirkung sind dagegen all jene Pflanzen, die für Schutz- und Liebeszauber sorgen. Eine auf dem Dach oder einem Pfosten platzierte Hauswurz (Sempervivum) soll das Anwesen vor Blitz, Donner und anderem Unheil schützen. 

Die Garten-Ringelblume (Calendula officinalis) begünstigt angeblich jeden Neubeginn. Der Überlieferung nach ebnet der aromatisch duftende Lavendel, wenn die Blüten unter dem Kopfkissen platziert werden, den Weg zum ersehnten Traumpartner. Und wenn es in Herzensangelegenheiten mal nicht so klappen sollte, dann könnte vielleicht ein Salbeitee den Liebeskummer lindern oder ein Aufguss aus Johanniskraut (Hypericum perforatum) die Stimmung aufhellen. Und wer’s nicht glauben mag: Die Wirkung des Letzteren gegen Depressionen ist sogar medizinisch nachgewiesen!

Fotos: © Frank von Berger