Wurzel mit Wumms – Meerrettich: heilsamer Rachenputzer Haus & Garten | 10.10.2023 | Frank von Berger

Meerrettich im Glas Tipp: Einen Spritzer Zitronensaft in den frisch geriebenen Meerrettich geben, dann nimmt er keine graue Farbe an.

Scharf, schärfer, Meerrettich – Meerrettich ist so scharf, dass es einem bei der Verarbeitung seiner Wurzeln die Tränen in die Augen treibt. Das liegt an den in der Pflanze enthaltenen ätherischen Senfölen, die leicht flüchtig sind. Jetzt im Herbst beginnt die Meerrettich-Saison.

Fans der scharfen Wurzel, die in Bayern und Österreich auch Kren genannt wird, freuen sich schon darauf, Suppen, Saucen und kleinen Häppchen damit den ultimativen Kick zu verleihen. Früher zogen im Herbst und Winter sogenannte Krenweiber mit der frischen Ware durch die Dörfer, um sie zu verkaufen. Heutzutage findet man frische Meerrettichwurzeln in den Herbst- und Wintermonaten vor allem auf Bauernmärkten und in Hofläden, aber auch in manchen Supermärkten. Fein gerieben und konserviert in Gläsern steht er das ganze Jahr über gebrauchsfertig im Regal – meist neben Mayonnaise, Ketchup und Senf. Mit frisch geriebenem Meerrettich ist die eingemachte Ware aber nicht vergleichbar. Liebhabern der scharfen Wurzel fehlt bei dem haltbaren und deshalb zweifellos praktischen Industrieprodukt einfach der Wumms einer frisch geriebenen Portion!

Die Winterwurzel mit dem besonderen Pfiff ist nicht wegzudenken bei einer herzhaften Vesper mit Wurst, Speck oder Räucherfisch. Als scharfe Sauce passt der Rachenputzer genauso gut zu Tafelspitz wie zu pochiertem Fisch. Doch er kann noch mehr sein als eine würzige Zugabe zu deftigen Speisen. Armoracia rusticana, wie die Pflanze botanisch genannt wird, ist in der Heilkunde wegen ihres Gehalts an wertvollen Vitaminen und Mineralien seit alters her bekannt für eine appetitanregende, verdauungsfördernde, die Abwehrkräfte stärkende und aphrodisierende Wirkung. Auch als schleimlösendes Hausmittel bei Erkältungen hat Meerrettich eine nachweislich lindernde Wirkung. Fein gerieben, mit Honig gemischt und teelöffelweise eingenommen, wirkt er gegen Schnupfen und kann, mit heißem Wasser aufgebrüht, bei Husten inhaliert werden.

Die zu den Kreuzblütlern (Brassicaceae) gehörende Pflanze stammt aus Südosteuropa und wurde wohl schon vor über tausend Jahren durch slawische Völker nach Mittel- und Westeuropa gebracht. Das mehrjährige Gewächs hat bis zu einem Meter lange, aufrecht stehende, dunkelgrüne Blätter und bringt zur Blütezeit im Sommer bis zu eineinhalb Meter hohe Stängel mit zahlreichen kleinen weißen Blüten hervor. Die Wurzel ist von einer dünnen hellbraunen, rauen Haut überzogen, wird bis fünf Zentimeter dick und etwa dreißig Zentimeter lang. Die insgesamt etwas derb wirkende Pflanze ist sehr wüchsig und durch Wurzelausläufer sowie Samen recht ausbreitungsfreudig. Sie verwildert an geeigneten Standorten gern und ist zudem äußerst langlebig. Oft ist Meerrettich die letzte Kulturpflanze, die in verlassenen Bauerngärten munter vor sich hin wächst und davon zeugt, dass hier einst Nützliches angebaut wurde.

Gärtnerin beim Ernten von Meerrettich

Meerrettich kommt auch in der Heilkunde seit alters her zum Einsatz.

Schräge Fechser

Damit der Anbau im Garten gelingt, braucht es sandig-lehmigen Boden, ausreichend Platz, Feuchtigkeit und Fechser. So werden die schlanken Seitentriebe genannt, die bei der Ernte reichlich anfallen. Sie werden von der dickeren Hauptwurzel bei der Ernte im Herbst abgetrennt, den Winter über in feuchtem Sand gelagert und im März oder April mit etwa 60 Zentimeter Abstand zueinander schräg in den Boden gepflanzt. Das schräge Einpflanzen erleichtert später die Ernte. Der Kopf der Fechser muss dabei idealerweise fünf Zentimeter, das Wurzelende 15 Zentimeter unter die Erde gebracht werden. Das erste Jahr darf der Meerrettich einfach vor sich hin wachsen. Die Erntezeit beginnt erst im zweiten Standjahr, wenn sich am Ende des Sommers die Blätter gelb verfärben. Die Wurzeln dürfen aber auch den ganzen Winter über bis zum Neuaustrieb der Pflanze im Frühjahr im Boden verbleiben und können, je nach Bedarf, ausgebuddelt werden. So ist immer frische Ware verfügbar. Ausgegraben und von anhaftender Erde gereinigt, hält sich die würzige Wurzel im Kühlschrank oder in einem kühlen Keller einige Wochen. Sie kann aber auch problemlos als Ganzes eingefroren werden. Wird die scharfe Wurzel gebraucht, kann ein Stück davon geschält und gerieben werden. Das geht auch prima in gefrorenem Zustand. Der Rest wandert einfach wieder gleich zurück ins Tiefkühlfach.

Schärfe im Schwarzwald

In Deutschland wird die auch Pferderettich, Bauernsenf oder Pfefferwurzel genannte Pflanze wegen ihrer speziellen Ansprüche nicht überall angebaut. Wie gesagt: Sie braucht sandig-lehmigen Boden und ausreichend Feuchtigkeit. Zentren der kommerziellen Meerrettichproduktion sind daher der Spreewald sowie Regionen um Hamburg, Hannover und Erfurt. In Ober- und Mittelfranken, rund um Bamberg und Nürnberg, wird angeblich schon seit Karl dem Großen Meerrettich kultiviert.

Ein bedeutendes Anbaugebiet ist zudem das badische Oberrheingebiet. Urloffen, ein Ortsteil von Appenweier, trägt den Beinamen „Meerrettichort“. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts löste der Meerrettichanbau die hier zuvor übliche Kultur von Hanf und Tabak ab. Inzwischen ersetzen in Urloffen immer häufiger einträglichere Sonderkulturen wie Erdbeeren und Spargel die scharfe Wurzel. Aber noch immer gibt es in dem kleinen Ort drei Meerrettich verarbeitende Betriebe und „das schärfste Fest im ganzen Schwarzwald“: Jeweils am zweiten Oktoberwochenende lässt die Gemeinde damit ihre würzige Wurzel hochleben. Ein Festumzug und ein Spätjahrsmarkt mit vielfältigen regionalen Spezialitäten runden das Fest ab. Und natürlich gibt es dort Meerrettich in allen Variationen zu essen, bis die Augen tränen!

Fotos: © Frank von Berger, iStock.com/CasarsaGuru