Lernen auf Ritalin: Schüler dopen sich mit gefährlichem Aufputschmittel Schule & Lernen | 07.07.2019 | Aljoscha Hahn

Junge in der Schule

Nicht nur im Sport wird gedopt. Auch Schüler pushen sich mit illegalen Mitteln zu Höchstleistungen. Weit verbreitet ist das ADHS-Medikament Ritalin. Zwei junge Konsumenten aus Freiburg berichten von den Wirkungen. Ein Psychiater warnt vor den Folgen.

Georg* (Name geändert) ist 18 Jahre alt und macht Abitur. Schon in der fünften Klasse bekam er wegen einer ADS-Diagnose Ritalin verschrieben. Heute missbraucht Georg das Medikament. Es kostet 50 Euro für 50 Tabletten mit jeweils 20  mg Wirkstoff. Die Kosten trägt die Krankenkasse. 

„Ich nehme es mehrmals die Woche“, sagt Georg. „Um meine Konzentration zu steigern und um Müdigkeit zu bekämpfen.“ Seine Erfahrung damit: „Man kann sich auf Ritalin auf das Wesentliche konzentrieren.“ Er nimmt es zum Lernen und für Klassenarbeiten.

Auch Tobias* (Name geändert) dopt sich mit Ritalin. „Ich kriege es von einem Bekannten, der es verschrieben bekommt“, sagt der 20-jährige Azubi. Er nutzt die Tabletten zum Lernen und zum Feiern. Der Effekt: „Ich halte länger durch.“ In Unkosten stürzt er sich damit nicht: „Ich zahle drei Euro pro Pille, die jeweils 40 mg hat“, sagt Tobias. „Das sind schon sehr starke Dinger.“ 

Angst vor der Sucht

Zeitweilig nutzte er Ritalin wochenlang täglich. Mittlerweile hat er seinen Konsum reduziert, aus Angst vor einer Abhängigkeit. 

Davor warnt auch Claus Normann, Psychiater und Oberarzt der Uniklinik Freiburg: „Personen, die regelmäßigen Konsum betreiben, können das Gefühl bekommen, keine Aufgabe mehr ohne die Substanz erledigen zu können“, bestätigt der 51-Jährige. Soll heißen: Eine psychische Abhängigkeit ist möglich.

„Ritalin wird zur Behandlung von ADHS- Patienten genutzt“, erklärt Normann. Dass es beim Lernen helfen kann, ist ihm bewusst: „Alle äußeren Einflüsse werden ausgeblendet, der Fokus wird auf die vorliegende Arbeit gerichtet.“ Ein Tunnelblick also in Zeiten permanenter Ablenkung durch Instagram und Co.

Georg hat keine Angst vor einer Sucht: „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich es brauche, wenn ich es mal auslasse. Ich denke, wenn man es in einem gemäßigten Rahmen nimmt, kann nichts passieren.“ Nebenwirkungen treten allerdings auf. Am häufigsten sei starkes Schwitzen, kalte Hände und ein hoher Puls, erzählt Georg. 

Akute Nebenwirkungen schildert auch Claus Normann. Es könne zu Gewichtsabnahme, Appetitlosigkeit und Depressionen kommen. 

Klassenzimmer

Ohne Ritalin nix los? Viele Schüler haben das Medikament schon probiert, zeigt die f79-Recherche.

Und im schlimmsten Fall? „Wenn man wirklich ultra hohe Dosen einnimmt, können sich Arterien zusammenziehen“, sagt Normann. Daraus resultierten Blauverfärbungen oder gar Absterben von Fingern. Das sei aber extrem selten.

Langzeitwirkungen von Ritalin sind unklar. Studien gibt es bisher keine, bestätigt Normann. Dabei ist das Medikament bei jungen Menschen der Renner: „In meinem Freundeskreis wird es hauptsächlich zum Lernen oder zum Feiern verwendet. Ich kenne nur wenige, die es noch nie probiert haben“, sagt Tobias. Auch Georg bestätigt das. Als er erfahren habe, wie viele Konsumenten es in seinem Freundeskreis gibt, war er erstaunt. Auch eine f79-Umfrage in Schülerkreisen bestätigt: Viele haben Ritalin schon probiert. Es von Mitschülern mit Ritalin-Rezept zu bekommen, ist einfach.

Warum wird es so intensiv genutzt? „Ich denke, dass sich viele einem starken Druck ausgesetzt fühlen und sich Abhilfe verschaffen wollen“, sagt Georg. Ob von den Eltern, der Schule, Klassenkameraden oder seinen eigenen Ansprüchen. Genau wie Tobias hat er nicht vor, aufzuhören. Wirklich schlechte Erfahrungen haben sie damit noch nicht gemacht. 

Potrait von Claus Normann

Claus Normann, Psychiater und Oberarzt der Uniklinik Freiburg

Claus Normann hält zumindest die Behandlung von Patienten für vertretbar. „Das hat sich als gutes und nebenwirkungsarmes Mittel zur Behandlung von ADHS bewährt.“ Auch den gelegentlichen Missbrauch von Ritalin sieht er aus rein medizinischer Sicht nicht wirklich kritisch. „Es ist ein gut verträgliches Medikament und ich vermute, dass die gelegentliche Einnahme kein großes medizinisches Risiko darstellt.“ Der negativste Faktor sei die psychische Abhängigkeit, die man bei regelmäßigem Konsum entwickeln könne

Das Hauptproblem sieht er anderswo: „Ich finde den ethisch moralischen Aspekt wichtiger. Allgemein: Doping – ich unterscheide nicht zwischen Tour de France oder Studenten – ist unfair.“ Man verschaffe sich einen Vorteil gegenüber den anderen. So erhöhe sich der Druck auf das Umfeld. Ein Teufelskreis, den nicht nur die Tour de France kennt. 

 

Info

Neuro-Enhancer boomen

Ritalin ist der Handelsname eines Arzneistoffes, der eigentlich Methylphenidat heißt. Er wirkt stimulierend und wird Kindern mit ADHS verschrieben. Ritalin hilft Menschen mit Aufmerksamkeitsdefiziten, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Bei gesunden Menschen erzielt Ritalin eine aufputschende Wirkung.

Das Medikament zählt zu den sogenannten Neuro-Enhancern. Auch Hirndoping genannt. Der Global Drug Survey hat dazu mit einer internationalten Studie in 15 Ländern gezeigt: Die Zahl der Hirn-Doper nimmt zu. Sie hat sich von 2015 bis 2017 verdreifacht. Auch in Deutschland steigt die Zahl. 2017 sollen drei Prozent der Befragten schon einmal zu solch verschreibungspflichtigen Mitteln gegriffen haben. Zu Neuro-Enhancern zählen Medikamente wie Ritalin, Dexamphetamin und Modafinil.

Fotos: freepik, Universitätsklinikum Freiburg, privat