Wer hat Angst vorm wilden Wolf: Bisher neun Tiere im Land nachgewiesen Naturschutz | 21.02.2021 | Liliane Herzberg

Wolf

Der Wolf spaltet die Gemüter – und er kommt näher. Neun der unter Naturschutz stehenden Tiere sind in Baden-Württemberg bisher nachgewiesen, einer davon bei Merzhausen, zwei weitere Rüden haben sich im Schwarzwald niedergelassen.Ein Schäfer ist beunruhigt, ein Wissenschaftler erklärt aber, dass ein weitgehend friedliches Zusammenleben von Wolf, Mensch und Herdentier möglich ist. Zumindest, wenn jetzt gehandelt wird.

Jürgen Seywald ist Schäfer seit er denken kann. Wie es für ihn und seine Herde weitergeht, ist momentan jedoch unsicher. Die Ansiedlung des Wolfes bereitet dem Freiberufler aus Ballrechten-Dottingen Sorgen und deutlich mehr Arbeit. „Den Schaden haben wir, der Arbeitsaufwand wird nicht gezahlt, wir kriegen zwar den Zaun, aber was ist, wenn der Druck durch mehr Wölfe größer wird?“ Für Seywald und andere Nutztierhaltende gibt das baden-württembergische Umweltministerium vor, dass die Herden durch Elektrozäune zu schützen sind. „Das ist halt auch ein hoher Arbeitsaufwand, wenn ich da jeden Tag vormähen, aufbauen, dokumentieren muss. So im Schnitt sagt man täglich zwei Stunden mehr“, klagt der Schäfer.

„Es gibt das Fördergebiet Wolfsprävention, das ist der ganze Schwarzwald. Auf diesen Flächen können großzügige Förderungen beantragt werden“, erklärt Micha Herdtfelder, Leiter des Arbeitsbereichs Luchs und Wolf der Forstlichen Versuchsanstalt Baden-Württemberg (FVA). Damit verbunden sei aber, dass alle, die Schafe, Ziegen und Gatterwild halten, innerhalb eines Jahres die Vorgaben, etwa Schutzzäune oder Herdenschutzhunde, umsetzen. Andern falls gibt es im Schadensfall keine Ausgleichszahlung durch das Land. Er rechne außerdem damit, dass sich bereits in den nächsten Jahren Rudel bilden.

Micha Herdtfelder

Steht als Vermittler zwischen den Fronten: Micha Herdtfelder von der Forstlichen Versuchsanstalt Baden-Württemberg.

Wurden die Wölfe  anfangs nur im Schwarzwald  gesichtet, hatte sich zuletzt im November ein durchstreifendes Tier der Stadt Freiburg genähert und in Merzhausen ein Schaf gerissen. Dass die Probleme, die der Wolf verursacht, ernst zu nehmen sind, er aber gleichzeitig auch helfen kann, erklärt Herdtfelder so: „Wölfe bevorzugen eher kranke und schwache Tiere. Das heißt, sie können in gewissem Maße dazu beitragen, dass ein Wildbestand gesünder ist.“

Der Wolf habe eine ökologische Funktion, schließlich fresse er zu 99 Prozent Wildtiere. Gerade die Interaktion zwischen Beutetieren und Beutegreifern sei eine wesentliche Triebfeder der Evolution. „Die Gejagten sind dem Wolf keinesfalls schutzlos ausgeliefert. Sie haben Feindvermeidungsstrategien, die dazu führen, dass die Zahl der Beutetiere von Wölfen in der Regel nur bedingt beeinflusst wird“, so der Experte.

Von den beiden Schwarzwälder Wölfen mit den klangvollen Namen GW852m und GW1129m sind keine spürbaren Auswirkungen auf Wildbestände zu erwarten, erklärt der Sachkundige: „Selbst wenn wir im Schwarzwald flächendeckend Rudel hätten, ist trotzdem das, was sie an Nahrung brauchen, sehr viel weniger als das, was Jäger entnehmen oder auf den Straßen stirbt.“

Wolf in Baden-Württemberg

Menschen gegenüber seien vor allem erwachsene Wölfe sehr zurückhaltend und mieden den Kontakt sowie Städte – in aller Regel. „Die Sorgen beispielsweise der Spazierenden sind dennoch ernst zu nehmen, auch wenn sie relativiert werden können“, betont Herdtfelder.  Aus fachlicher Sicht sind auch die Befürchtungen der Herdentierhaltenden relevant: „Nutztiere sind ohne Herdenschutz gefährdet, obwohl die Nahrung nur ein Prozent Nutztiere ausmacht.“ Eine Koexistenz sei also nur dann möglich, wenn Tierhaltende die Unterstützung kriegen, um die Herden zu schützen und die intelligenten Wölfe Grenzen zu lehren.

Auch Nicolas Schoof und Albert Reif von der Professur für Standorts- und Vegetationskunde der Universität Freiburg forschen rund um den Wolf. Um die Beweidung der für den Naturschutz wichtigen Flächen durch Nutztiere zu sichern, schlagen sie die Jagd problematischer Einzeltiere vor. Für Herdtfelder ist das nichts Neues: „Das ist Standard, das geht durch das Bundesnaturschutzgesetz, da gibt es Ausnahmeregeln.“

Die Voraussetzung sei, dass zuvor alle zumutbaren Maßnahmen wie beispielweise die Zäunung ergriffen wurden. Dass Wölfe Nutztiere fressen, bliebe aber eher die Ausnahme und nur, wenn einer gelernt habe, sachgerechten Schutz regelmäßig zu überwinden, könnte er „entnommen“ werden. „Um eine solche Entwicklung zu vermeiden, muss der Herdenschutz möglichst schnell umgesetzt werden.“

Schäfer Seywald

Schäfer Seywald

Schäfer Seywald hofft nun, dass er die nächsten paar Jahre mit dem Elektrozaun klarkommt. „Dann wird sich weisen, was passiert. Die Gesellschaft will den Wolf, wir wollen ihn nicht, und eigentlich kann noch keiner sagen, was da auf uns zukommt.“

Fotos: © NABU /Kathleen Gerber; FVA; tln