Die Azoren – ein Naturschauspiel in vier Akten Reise-Special | 07.11.2018 | Lars Bargmann

Ist es das ultrablaue Meer, der pittoreske Pico, sind es die majestätischen Kraterränder, die leckeren Liköre, das berühmte Azorenhoch, das zwar meistens gar nicht dort entsteht, aber trotzdem stellvertretend fürs Archipel steht? Eine Rundreise über vier der neun mitten im Atlantik liegenden Inseln.

Zwischen der östlichsten, Santa Maria, und dem westlichsten Punkt Europas, Flores, liegen 600 Kilometer. Wer auf die Azoren möchte, sollte seine Reiseroute nicht allzu voll packen, das Inselhoppen kostet Zeit. Wir landen auf São Miguel, die größte Azoreninsel, auf der rund 140.000 Menschen leben. Etwa die Hälfte in Ponta Delgada, die im Südwesten liegende Hauptstadt der Inselgruppe.

Am Anfang dachten wir noch, na ja, „Hauptstadt“, am Ende der Reise kam uns Ponta Delgada dann wahnsinnig urban, unruhig, touristisch vor. Der wie auch auf den anderen Inseln mit vielen Millionen EU-Euro geförderte Hafen bestimmt mit seinen Yachten und Frachtern die Szenerie. Das natürliche Highlight aber liegt im Hochland an der Caldera, es sind die nur durch eine kleine Brücke getrennten Lagoas Azul und Verde, einer blau, einer grün schimmernd, die ebenso wie das Örtchen Sete Cidades im Kraterboden liegen.

In Furnas rauchen die Fumaroles aus dem Boden.

Oben am Kraterrand hat eine Investorengruppe Mitte der 80er-Jahre mal ein Fünf-Sterne-Hotel mit 170 Zimmern gebaut, das aber nach nur einem Jahr pleiteging und seither leer steht und verwittert – ein Abenteuerspielplatz für Erwachsene. Ein Reiseleiter erzählt, dass nun neue Investoren das Projekt wieder ins Leben rufen wollen. Der Blick auf die beiden Kraterseen ist herrlich, man kann aber auch an der Küste wohnen und ist in einer halben Stunde oben. Eine Wanderung (zwölf Kilometer) ist ein Muss – der Abstieg an den herrlichen Lagoa do Fogo ebenso – und könnte beim Vista do Rei beginnen und enden.

Da auf allen Inseln das Wetter im Hochland sehr launisch ist (oft dauert es nur wenige Minuten, bis aus strahlend blauem Himmel dichter Nebel wird), ist eine Windjacke ein sinnvolles Utensil. Für Abenteuerlustige gibt es noch einen alten Tunnel, der durch die Kraterwand in Richtung Mosteiros führt. Ein Abstecher in den wild-romantischen Hafen nach Capelas lohnt sich, die Straße runter ist so eng, dass wir die Rückspiegel einklappen müssen.

Majestätisch weit hingegen das Tal von Furnas, wo heiße Quellen aus dem Boden sprudeln, zischen, dampfen, wo das Nationalgericht Cozido stundenlang in heißen Erdlöchern gegart wird und man vom Pico do Ferro den beeindruckendsten Blick hat. Der Besuch des Terra-Nos­tra-Parks ist Pflicht, am besten man quartiert sich im zugehörigen Hotel gleich ein, zwei Nächte ein. Das Baden im riesigen Thermal-Außen­pool ist ein schwer vergessliches Erlebnis.

Der Einstieg in die Höhle Algar do Carvão auf Terceira ist ein alter Vulkanschlot.

Wir fliegen eine dreiviertel Stunde nach Terceira, wo im Hochland nur die Rinder leben, die 12.000 Insulaner ausschließlich an den Küsten. Die meisten entweder im mehrfach von Erdbeben zerstörten Vila da Praia da Vitória oder in Angra de Heroísmo (Bucht der Heldenhaften), deren Altstadt zum Unesco-Weltkulturerbe zählt. Im Zweiten Weltkrieg spielte Angra keine kleine Rolle, sowohl im Flugverkehr als Tankstopp für US-Bomber (damals war die 3313 Meter lange Landebahn die längste der Welt), als auch für die Marine.

Zwischen Mondlandschaft und Rinderwahnsinn

Angras Festungen am Fuße des Monte Brasil waren als kaum einnehmbar berüchtigt. Die Renaissance-Hochburg lädt zum Schlendern ein, an der Sé Catedral, dem größten Gotteshaus der Azoren, steht eine Statue von Papst Johannes Paul II., der 1991 dort weilte. Aber auch auf Terceira schlägt die Natur die Kultur um Längen. Angefangen beim Monte Brasil, den man zu Fuß, aber auch mit dem Auto erkunden kann – der wachhabende Soldat des noch aktiven Armeestützpunkts salutiert beim Abschied –, vor allem aber im Hochland, das zuweilen wie eine moosbewachsene Mondlandschaft aussieht. Wer das Erkunden von Höhlen mag, der wird in der Algar do Carvão fündig. 90 Meter tief, 2000 Jahre alt, 338 Stufen bis zur untersten Plattform, an der nach Regenfällen ein kleiner See liegt. Der Einstieg ist ein alter Vulkanschlot, das Sonnenlicht dringt deswegen weit hinunter und spielt mit den Felsformationen.

Auf dem Weg nach Praia de Vittória stehen an einer Landstraße plötzlich Dutzende von Autos, weiter hinten sitzen Menschen auf Mauerkronen, wir bugsieren unseren Leihwagen in tiefes Geläuf und stehen unvermittelt vor einer kleinen Stierkampfarena. Der Rinderwahnsinn ist auf den Azoren-Inseln überall zu finden. Nun denn.

In Praia da Vitória – mit dem vermutlich schönsten der raren Sandstrände der gesamten Azoren – thront auf einer Landzunge die Muttergottes über Städtchen und Hafen, gepflasterte Gassen laden zum Spaziergang ein, alles sehr gemütlich. Im Hafen rudern ein paar Touristen, eine Yacht wird aus dem Wasser gehievt, Fischer sitzen in einer Strandbar und erzählen sich Geschichten.

So würden Kinder einen Berg malen: Der Pico ist der höchste Berg Portugals.

Weiter geht es mit einer 40-sitzigen Propeller-Maschine ins Herz der Azoren, nach Faial. Auf die blaue Insel, wie sie wegen ihrer vielen Hortensienhecken genannt wird. Die Hauptstadt hört auf den Namen Horta und ist schlicht bezaubernd. Wir verlängern nach dem ersten Spaziergang direkt um ein paar Tage. Horta ist klein, hat aber Weltenbummler-Atmosphäre. Im Peter Café Sport am Hafen trifft sich nicht nur die Atlantiküberquerer-Szene, der Laden ist eine internationale Institution: 1918 von Henrique Azevedo eröffnet, hängt das Café voller Wimpel, Postkarten und Andenken aus der ganzen Welt. 2003 kürte das Magazin Newsweek das Peter zu einer der besten Bars der Welt.

Weiter unten am Hafen liegt die 80 Fuß lange Super-Yacht Martella, eine blaue Marine-Police-Banderole markiert sie. Warum sie beschlagnahmt wurde? „Maybe Drugs“, sagt die Kellnerin schulterzuckend. Ein paar Tage später eskortiert die Marine einen Katamaran in den Hafen. An Bord: Kokain aus Südamerika für 36 bis 45 Millionen Euro. Unverdächtige Segelboote von Privaten sind ein immer beliebteres Schmuggel-Vehikel.

Nebenan an den Hafenmauern haben sich in durchaus kunstvoller Manier hunderte von wagemutigen Seglern verewigt, wer es nicht macht, so heißt es, wird den Hafen nie wieder sehen. Noch schöner zum Verweilen nach einer Wanderung aber ist die Taberna de Pim, die am Porto Pim eine herrliche Terrasse am Meer hat – mit Blick auf einen der raren Sandstrände und auf den Monte da Guia.

Direkt neben der Taberna gibt es das Restaurant von Genuíno, auch er eine Legende, weil Genuíno Madrigo schon zwei Mal die Welt umsegelt hatte, bevor er hier seinen Betrieb eröffnete. Jeder Tisch ist einer Station auf seinen Reisen gewidmet, durch die vielen Fenster kann man die Bucht beobachten, in der am Abend der Wind dalieske Bilder auf die Wasseroberfläche zeichnet und die Gelbschnabel-Sturmtaucher ihre seltsamen Unterhaltungen führen.

Die malerische Bucht liegt vor Horta auf Faial.

Bis in die 70er-Jahre hatten hier noch die Walfangschiffe angelegt, ein bestialischer Gestank lag damals über der Bucht, die dann auch voller Haie war. 45 Seemeilen südwestlich von Faial gibt es mit der Princess Alice Bank, den nur 35 Meter unterm Meeresspiegel liegenden Gipfel eines massiven Berges – entdeckt übrigens 1896 von Fürst Albert I. von Monaco – einen der weltweit besten Tauchspots für Wale, Delfine oder Teufelsrochen.

Mit Schlauchbooten kann man von Faial oder der Nachbarinsel Pico aus zum Walebeobachten aufs Meer schippern, und auch wir haben den majestätischen Moment erlebt, wenn die Schwanzflosse eines Pottwals sich kurz aus dem Wasser reckt, bevor dieser Koloss mal eben einen Kilometer tief abtaucht. In Horta lebte übrigens auch mal Ritter Martin Behaim, der aus einer Nürnberger Patrizierfamilie stammte und Anfang der 90er-Jahre des 15. Jahrhunderts die heute älteste Darstellung der Welt auf einem Globus anfertigte.

30 Millionen Tonnen Lava ausgespuckt

Unbedingt sehen muss man die an eine Jules-Verne-Landschaft erinnernde Westspitze der Insel. Ende der 50er-Jahre hatte der im Meer liegende Vulkan Capelinhos 30 Millionen Tonnen Lava ausgespuckt, die sich danach mit Faial verbanden und die Insel um 2,4 Quadratkilometer wachsen ließen. So liegt heute neben einem alten, längst grün umwucherten Vulkan eine völlig vegetationslose Mondlandschaft – bei Sonnenlicht eine einmalige Szenerie.

Auf dem offenen Meer kann man Wale beobachten – wenn die Ozeanriesen abtauchen, verstummen die Menschen.

Faial besticht durch den allgegenwärtigen Blick auf den Pico, aber auch durch eine mächtige Caldera, die zu den imposantesten Einsturzkratern der Azoren zählt. Ein Rundgang auf dem Kraterrand dauert zwei, drei Stunden und ist herrlich. Zum inner circle der Azoren zählen neben Terceira und Faial auch São Jorge, Graciosa und vor allem Pico: Der gleichnamige Vulkan ist mit 2351 oberirdischen Metern der höchste Berg Portugals. Wir setzen mit dem Schiff über, wer den Pico besteigen will, sollte sieben Stunden einplanen, bei der Casa da Montanha einen GPS-Sender holen, das richtige Wetter erwischen und nicht nur Joggingschuhe dabeihaben. An seinen Ausläufern breiten sich Lava-Weinbaugebiete aus, die ebenfalls zum Weltkulturerbe zählen.

Pico – ein weltweiter Hotspot für Wale – besteht fast nur aus Hochland, ein paar Küstendörfern und der Hauptstadt Madalena, die 2600 Einwohner zählt. Die Nordküste ist die schönere (der spektakuläre Aussichtspunkt Terra Alto belegt das eindrücklich), ganz im Osten kann man im Hafenbecken von Manhenha wunderbar baden, schnorcheln und ins offene Meer hinausschwimmen. Ein Hoch auf die Azoren.

Flugverbindungen & Reiseliteratur

Direktflüge von Frankfurt nach Ponta Delgada / mit Zwischenstopps von Basel
Azoren / Michael Müller Verlag, 544 Seiten, 22,90 Euro
Wanderführer Azoren, Bergverlag Rother, 288 Seiten, 14,95 Euro

Fotos: © bar, mos, iStock/Freder, alanphillips