Kein blaues Auge: Interview mit Kultur-Bürgermeister Ulrich von Kirchbach Kultur | 19.12.2018 | Lars Bargmann

Freiburgs Kultur- und Sozialbürgermeister Ulrich von Kirchbach ist im Januar vom Gemeinderat in seine dritte Amtszeit gewählt worden. „Das war für mich persönlich das emotional stärkste Ereignis des Jahres, eine Bestätigung meiner Arbeit“, sagt der Sozialdemokrat. Spricht aber auch über Intensivtäter, harte Verhandlungen und das 900-Jahr-Jubiläum.

cultur.zeit: Herr von Kirchbach, Ministerpräsident Winfried Kretschmann will Flüchtlinge am liebsten in die „Pampa“ schicken, weil die in Großstädten zu viel anrichten würden. Inwiefern haben die Freiburger Ereignisse wie der durch einen Flüchtling verübte Sexualmord an der Studentin Maria L. oder die grausame Gruppenvergewaltigung einer 18-Jährigen durch mehrheitlich Syrer Einfluss auf die Arbeit als Integrations-Bürgermeister?
Ulrich von Kirchbach: Zum Glück müssen wir derzeit kein neues Flüchtlingsheim bauen. Das subjektive Sicherheitsgefühl hat gelitten, die Integration der hier lebenden Flüchtlinge (insgesamt mehr als 5000, d. Red.) hat aber nicht gelitten, weil die meisten Freiburger unterscheiden können. Die meisten Flüchtlinge fallen nicht auf. Es gibt aber eine kleine Anzahl von Intensivtätern, die meistens nicht integrierbar sind, die das Bild von Freiburg in der Öffentlichkeit kaputt machen, und wo der Rechtsstaat konsequent sein muss. Justiz und Polizei müssen gut zusammenarbeiten und wir müssen schneller sanktionsbereit sein. Aus meiner Sicht schiebt das Innenministerium zuweilen einfach die falschen ab. Solche, die eine geregelte Arbeit haben, deren Kinder seit Jahren in der Schule sind.

cultur.zeit: Bundesweite Schlagzeilen erhoffen Sie sich auch im Jahr 2020, wenn Freiburg sein 900-jähriges Bestehen feiert. Wie bewerten Sie den bisherigen Projektstand, der angedachte Dreisam-Boulevard ist zu teuer, sagen die einen, es fehle eine Leitidee die anderen…
von Kirchbach: Wir alle werden nur einmal im Leben so ein Jubiläum erleben. Das sollte jeden begeistern. Leitmotive heißen einmal so und einmal anders, das brauchen wir alles nicht wirklich. Und der Boulevard ist an sich eine gute Idee, aber nicht während des Festjahrs, weil eine gesperrte B31 hier und im Umland Ärger auslöst. Wir müssen da pragmatisch rangehen und ein Fest mit einem festen Budget von drei Millionen Euro organisieren, für Alt und Jung, für alle Milieus und alle Schichten. Dafür ist Holger Thiemann der richtige Projektleiter. Bei dem liegen mittlerweile 460 Projektanträge, die insgesamt 15 Millionen Euro kosten und 8,7 Millionen Zuschussbedarf haben. Wir haben für diese Projekte aber nur 1,5 Millionen. Wir müssen also versuchen, Sponsorengelder zu bekommen, so planen wir etwa eine Kampagne, bei der 900 Bürger je 900 Euro bringen könnten.

cultur.zeit: Je mehr Sponsorengelder, umso mehr Stadtjubiläum?
von Kirchbach: So ist das, ja. Wir werden das ganze Jahr über feiern mit dem zentralen Festival vom 10. bis 14. Juli auf vier großen Bühnen.

cultur.zeit: Was will Freiburg dabei vermitteln?
von Kirchbach: Wir wollen die Vielfalt unserer Stadt feiern. Unsere Vergangenheit darstellen, die Gegenwart, die Zukunft. Die europäische Idee wird eine zentrale Rolles spielen, deswegen sprechen wir mit Colmar, Mulhouse, Strasburg und unseren Schweizer Nachbarn. Die Vielfalt muss aber auch von der Bürgerschaft kommen, von den Vereinen, von den Stadtteilen und Ortschaften.

cultur.zeit: Wird es Bleibendes geben?
von Kirchbach: Das Gemeinschaftserlebnis wird uns auch für die Zukunft stärken, da bin ich sicher. Aber auch weiteres bliebt: Die Stiftungsverwaltung wird im Zuge der angedachten Umgestaltung des Colombi-Parks einen Spielplatz sponsern. Eine private Stiftung gibt 100.000 Euro für zwei inklusive Spielplätze. Weitere nachhaltige Projekte werden folgen.

cultur.zeit: Da ist noch Luft nach oben, gibt es die für Sie bei der Einbringung des Doppelhaushalts auch noch? Von insgesamt 340 Millionen Euro, die die Ämter und Dezernate neu angemeldet hatten, mussten mehr als 100 Millionen wieder verschoben werden. Wie schmerzhaft war das für Sie?
von Kirchbach: Es ist immer schmerzhaft, wenn man etwas Wünschenswertes nicht unterstützen kann. Aber bei der Vielzahl der Projekte bleibt es nicht aus, dass Manches nicht im Haushalt aufgenommen werden kann. Aber ein blaues Auge habe ich nicht. Wir haben eine Gesamtverantwortung für die Stadt und haben in mehreren Dezernenten-Sitzungen gute Lösungen gefunden. Die Punkte, die mir ganz wichtig sind, sind im Haushalt drin…

cultur.zeit: …etwa?
von Kirchbach: Der Ausbau der Quartiersarbeit, mehr Personal im Seniorenbüro, mehr Geld für kommunale Beschäftigungsprogramme, den Ausbau der Schul- und Jugendsozialarbeit.

cultur.zeit: Und in der Kultur?
von Kirchbach: Da sind wir im investiven Bereich und da haben wir Mittel für den letzten Bauabschnitt im Augustinermuseum, den Umzug des Stadtarchivs an die Messe und für das neue „Haus der Demokratie“ mit dem NS-Dokumentationszentrum im Rotteckhaus.

cultur.zeit: Im Haushalt finden sich einmalig 900.000 Euro für Baumaßnahmen und 540.000 Euro für den laufenden Betrieb ab 2020?
von Kirchbach: Jeweils in Teilen. Vor Ende 2020 wird es kaum bezugsfertig sein. Wir verhandeln derzeit mit dem Land, denn der Einzug der Landeszentrale für politische Bildung (LpB) ist das A und O, weil für uns allein das Haus zu groß ist. Das wäre eine herausragende Kombination, die es so noch nicht gibt.

cultur.zeit: Wie hoch ist das Investitionsvolumen insgesamt?
von Kirchbach: Nach heutigem Stand ca. 1,5 Millionen Euro für das NS-Dokuzentrum. Wenn das Land ja sagt (das muss in erster Linie die Freiburger Finanzministerin Edith Sitzmann, d. Red.), gehen wir damit in den Gemeinderat und könnten dann loslegen.

cultur.zeit: Wird am Güterbahnhof mit dem Bau eines Musikhauses mit Proberäumen und Veranstaltungsflächen auch bald losgelegt?
von Kirchbach: Das Musikhaus ist sehr wünschenswert und die Hürden sind nicht unüberspringbar. Auch wenn sicher noch Kompromisse zwischen Wunsch und Realität gefunden werden müssen.

cultur.zeit: Wird das Musikhaus neben dem Dokuzentrum ein weiterer, neuer Zuschussbetrieb?
von Kirchbach: Nein. Proberäume zu vermieten, kann rentabel sein.

cultur.zeit: Was ist die wichtigste Entscheidung, die 2019 bevorsteht?
von Kirchbach: Das ist ganz klar der Bürgerentscheid über den neuen Stadtteil Dietenbach. Ich bin als Sozialbürgermeister davon am meisten betroffen. Wir brauchen in den nächsten 15, 20 Jahren 15.000 neue Wohnungen. Andere Baugebiete können Dietenbach nicht kompensieren. Wir können nicht noch zehn Wohnheime für Bedürftige bauen, wir haben 3700 Menschen in der Notfallkartei für Wohnungssuchende. Wenn wir soziale Stadt bleiben wollen, führt kein Weg an Dietenbach vorbei. Alles andere wäre verhängnisvoll, auch wenn viele das heute noch nicht sehen. Ich werde bis zum Wahlsonntag (24. Februar, d. Red.) für Dietenbach kämpfen.

cultur.zeit: Herr von Kirchbach, vielen Dank für dieses Gespräch.

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