Zum Anbeißen: „Der Geschmack der Kunst“ im Basler Tinguely Museum Kultur | 08.03.2020 | Hans-Dieter Fronz

Amuse-bouche

Die Ausstellung „Amuse-bouche“ im Tinguely Museum Basel widmet sich dem Geschmacksinn in der Kunst. Sie ist ein Augenschmaus und eine einzige Verführung: zum Kosten, Naschen, Schlemmen. Und: Man darf!

Eigentlich darf man ein Kunstwerk, das weiß jedes Kind, nicht anfassen. „Bitte nicht berühren“ oder „Please don’t touch“ liest man auf Schildern in Museen. Im Tinguely Museum in Basel müsste es jetzt korrekterweise lauten: „Bitte nicht anknabbern“, „Bitte nicht naschen“. Denn neben manchem Bitteren, Sauren oder Salzigen trägt das Museum in seiner neuen Ausstellung viel Süßes auf – das zum Teil auch mit der Zunge genossen werden darf, während anderes ein reiner Augenschmaus bleibt.

Sonja Alhäusers „Schokoladenmaschine“ zum Beispiel: Die Skulptur taucht unaufhörlich in einen Behälter mit warmer, weißer Schokolade ein und wieder daraus auf. Probieren verboten, lecker ist aber schon der Anblick. Oder Roman Signers Tischlein deck dich der besonderen Art, mit einer Tischplatte, die vollständig mit einem riesigen Lebkuchen bedeckt ist. Zum Anbeißen, was der Besucher just hier nicht darf. Das darf und soll er an etlichen anderen Stellen: zulangen, anknabbern, naschen.

Das Werk von Meret Oppenheim dagegen ist durch Glas gesichert. „Bon appétit, Marcel!“ ist ein bissig-verspieltes Geschenk der Schweizer Künstlerin, die einst die berühmte Pelztasse schuf, an ihren französischen Künstlerfreund Marcel Duchamp. Der Erfinder des Readymades war im Kulinarischen wie in Sachen Erotik bekanntermaßen kein Kostverächter. Und so serviert Oppenheim dem leidenschaftlichen Schachspieler auf einem Teller eine Schachfigur – vielsagend natürlich die Dame! – aus gebackenem Teig mit der Wirbelsäule eines Rebhuhns.

Die Schau ist Teil einer Ausstellungsserie, die die fünf Sinne zum Thema macht. Der Riech- und der Tastsinn waren schon Gegenstand. Hören und Sehen soll uns dann in zwei künftigen Ausstellungen mitnichten vergehen. Schon Barockkünstler stellten die fünf Sinne in Gestalt von Allegorien dar – so auch in der Basler Präsentation. Und beim Anblick des „Fruchtstilllebens mit gefülltem Weinglas“ des niederländischen Barockmalers Jan Davidsz. de Heem läuft einem das Wasser schon beim Sehen im Munde zusammen.

Mit mehr als 80 Werken von rund 45 Künstlern vom Barock an ist die Ausstellung bestückt – und belegt eindrucksvoll, dass der Geschmackssinn nicht erst in der Gegenwart ein Gegenstand der Kunst ist. Themenfelder wie „Der Geschmack des Fremden“, Essen als soziale Tätigkeit oder Nahrungsmittel als Teil der kulturellen Identität machen den Parcours abwechslungs- und facettenreich.

c-Janine-Antoni;-Courtesy-of-the-artist-and-Luhring-Augustine,-New-York

Die Zunge, auch die der Besucher, spielt eine wichtige Rolle in der Ausstellung.

In „Goosebomp“ (auf gut Deutsch „Gänsehaut“), einer monumentalen Wandinstallation von Elizabeth Willing, darf der Besucher probieren. Eine Fläche von mehr als 20 auf rund fünf Meter hat die Australierin mit einem Raster aus runden Pfeffernüssen mit weißem Zuckerguss überzogen. Partizipative Kunst nennt sich das.

Kunstwerke zum Naschen, zum sich Einverleiben – das ist ungewöhnlich. Doch in der Ausstellung „Amuse-bouche. Der Geschmack der Kunst“ geht es dezidiert um den Geschmackssinn. Neben den Augen spielt die Zunge eine wichtige Rolle – eben auch die des Besuchers. Noch ausgiebiger kommt sie in interaktiven Führungen, Workshops und Live-Performances, bei Degustationen oder beim „Wurst-Event“ mit einem Schweizer Sternekoch zum Einsatz.

Aber wie schmeckt Kunst nun eigentlich? Der Zuckerrohrschnaps, den das brasilianische Künstlerkollektiv Opavivará! schamlos in einem Bidet sprudeln lässt, recht süßlich. Dagegen hat das Pflanzen- und Früchtedestillat in Claudia Vogels Installation „Tastescape“ eine ansprechend duftig-frische Note. Und Marisa Benjamins vegetative Nouvelle Cuisine – kleinste Häppchen aus Fruchtstücken, verfeinert mit winzigen Blütenblättern und einem Tropfen Olivenöl von Blumen – verdient ohne Abstriche das Prädikat exquisit. Doch weil sich über Geschmack bekanntlich nicht streiten lässt und ein und dasselbe in unterschiedlichen Mündern ganz verschieden schmeckt – möge sich jeder sein eigenes Urteil bilden.

Info

Museum Tinguely
Paul Sacher-Anlage 1
CH-4002 Basel
bis 17. Mai
Öffnungszeiten: Di. bis So., 11–18 Uhr
www.tinguely.ch

Fotos: © Elizabeth Willing and Tolarno Galleries Melbourne, Foto Elizabeth Willing, Janine Antoni; Courtesy of the artist and Luhring Augustine, New York