Alles weggebrochen – Musiker und Veranstalter im Shutdown 4Musik | 19.04.2020 | Till Neumann

Sea you Festival

Steigt das Festival Sea You im Sommer? Wann können Musiker wieder auf Bühnen? Wie überstehen sie die Corona-Krise? Solche Fragen können selbst die Betroffenen derzeit kaum beantworten. chilli- Redakteur Till Neumann hat sie dennoch gestellt.

Seit 20 Jahren lebt Markus Schumacher von und für Musik. Seit der Schule hat der 42-Jährige nichts anderes gemacht. Mit der Band Al Jawala tourt er durch die Welt. Seit einem Jahr hat er mit seiner Agentur Black Forest Voodoo ein zweites Standbein. 20 Bands sind dort unter Vertrag. Die Corona-Krise trifft den dreifachen Familienvater doppelt. Er lebt von Gagen seiner Band und der Organisation von Shows anderer Gruppen. „Mehr als 30 Gigs sind in wenigen Tagen abgesagt worden, die ganze Vorarbeit war für nichts“, erzählt Schumacher. Der Haken seiner Branche: Bezahlt wird nur für gespielte Konzerte.

Die Zeit zur Krisenbewältigung ist knapp: Derzeit ist er auch Lehrer seiner Kinder. „Ich frische gerade nebenher mein Mathe auf“, sagt der Drummer und lacht. Doch die Lage ist ernst: Bis in den Oktober sind Konzerte abgesagt.

„Das wird Auswirkungen auf die nächsten zwei, drei Jahre haben“, berichtet Schumacher. Entschädigungen für ausgefallene Konzerte gibt’s nicht. Corona sei höhere Gewalt. Zumal Veranstalter selbst in der Patsche sind. Die Ungewissheit ist groß, merkt Schumacher. Selbst wenn man im Herbst wieder spielen könne, bleibe es schwierig. „Sind die Leute dann in Stimmung für Konzerte? Haben sie das Geld dafür?“ Auf etwa 20.000 Euro schätzt er seine Umsatzeinbußen. Stand jetzt.

Eine Band seiner Agentur sind El Flecha Negra. Die Latinos aus Freiburg touren eigentlich fleißig durch Europa. „Jetzt haben wir plötzlich viel Zeit“, sagt Bandleader Tatán González Luis. Das sei gut für die Familie. Doch das Geld ist knapp. 15 Shows sind abgesagt. Der Verlust: etwa 15.000 Euro.

Gelebt wird von Reserven. „Wir sind sparsam, gehen nicht raus zum Essen“, erzählt der 34-Jährige. Wie er seine Rechnungen bezahlen soll, wenn der Shutdown länger dauert? „Ich weiß es nicht, zum Glück habe ich meine Frau.“ Musik machen kann er trotzdem: Der gebürtige Chilene spielt jetzt täglich für seine Kinder.

Bela Gurath, Tatán González Luis

In der Krise: Bela Gurath, Tatán González Luis und Markus Schumacher (v.l.)

Auch bei Veranstaltern ist Land unter. Am 18. und 19. Juli soll die Sea You steigen. Ob das klappt? „Ich habe Hoffnung, dass der jetzige Zustand maximal bis Ostern dauert“, sagt Veranstalter Bela Gurath. 100.000 Euro habe er für Marketing ausgegeben. Das Booking sei komplett. Der Vorverkauf gut angelaufen: 14.500 Tickets sind verkauft, 5500 noch zu kriegen. Und das bleibe erst mal so: „Der Verkauf ist in den vergangenen Tagen komplett eingebrochen“, berichtet Gurath.

Der Sea-You-Chef sagt: „Bis Mitte Juni muss eine Entscheidung fallen.“ Eine Absage wäre ein Supergau. „Mit dem Booking ist schnell eine halbe Million versenkt.“ Auf den Worst Case will Gurath vorbereitet sein. Ein Plan B sei angeleiert. Was das ist, verrät er nicht.

Eine Verschiebung seines Mega- Elektro-Events am Tunisee scheint schwierig. Möglich sei das hingegen fürs Schlossbergfestival: Es soll eigentlich vom 30. Juli bis 4. August steigen. Einen Ersatztermin vier Wochen später hat er der Stadt bereits vorgeschlagen.

Krisenstimmung herrscht auch bei Michael Musiol. Der Jazzhaus-Chef spricht von Verlusten um die 100.000 Euro. Bis Mitte Juni sind alle Konzerte abgesagt. Die Folgeplanungen sind kompliziert, da auch der Herbst ungewiss ist. „Wir haben keine Einnahmen, alles bei null“, sagt der 56-Jährige. Sein 13-köpfiges Team hat er mit Kurzarbeit auf Notbetrieb runtergefahren. Nur vier, fünf Leute seien noch für wenige Stunden da.

Bangen um Zukunft: Jazzhaus-Chef Michael Musiol (links) und sein Kollege Thorsten Ilg.

Ob er die Krise übersteht? „Ich kenne den Gedanken“, sagt Musiol. Trotz Existenzängsten sagt er sich aber: „Das Haus muss gerettet werden.“ Seine Hoffnung ruht auf finanziellen Hilfen der öffentlichen Hand. „Konkrete Zuschüsse, keine Darlehen, die man zurückzahlen muss.“ Angefragt hat er bereits vielerorts. Das Jazzhaus möchte er auch in Notlagen nicht zu sehr verschulden. 

Eine Idee, Musiker zu supporten, kommt aus dem E-Werk. „Karten kaufen und Gutes tun“, heißt es da. Bis Ende Juni können Tickets für abgesagte Konzerte gekauft werden. Für Preise von 5 bis 100 Euro. „Die Erlöse gehen zu 100 Prozent an Freiburger Künstler*innen, deren Veranstaltungen im E-Werk nicht stattfinden können“, heißt es. Die Aktion zeigt: Not macht erfinderisch. Und solidarisch.

 

Info

Zur aktuellen Spendenkampagne „Jazzhaus braucht euch“ gehts hier: www.gofundme.com/f/jazzhaus-braucht-euc

Fotos: © Sea You, Felix Groteloh, Till Neumamnn