Das Allgäu verspricht Bergidylle wie aus dem Bilderbuch Reise | 21.05.2021 | Tanja Senn

Kuh auf Weide

Eiskalte Bergseen statt Meereswellen, Kuhglocken-Gebimmel statt Möwengeschrei: Der Sommerurlaub wird für viele dieses Jahr wieder etwas anders aussehen als gewohnt. Doch das kann durchaus bereichernd sein: Denn mit seinen Bergen und Schluchten, Seen und Almen, Gasthöfen und Wellnesshotels bietet das Allgäu eine riesige Vielfalt an Freizeitmöglichkeiten.

Um es vorwegzunehmen: Stiefenhofen ist sicherlich nicht „the place to be“. Ein netter kleiner Lebensmittelladen, ein gluckerndes Bächlein, ein paar Schafe – das sind eigentlich schon die Highlights der 1800-Seelen-Gemeinde. Es gibt trotzdem einen guten Grund, hier abzusteigen und der heißt Axel Kulmus. Besser bekannt als der „Allgäuer Kräuterwirt“.

Essen mit Blumen angerichtet

Kräuter satt: Die Gerichte im Rössle werden mit den hauseigenen Gewürzen verfeinert

Bereits in der dritten Generation betreibt der außergewöhnliche Koch hier das „Rössle“ – ein uriges Wirtshaus aus dem 17. Jahrhundert. Hier serviert er Rahmsüppchen vom Allgäuer Bergwiesen-Heu, Wildkräuterknödel oder mit Lavendel-Honig gratinierte Maispoularde. Selbst in den Desserts finden das Heu von der benachbarten Wiese und untypische Kräuter wie Thymian oder Rosmarin ihren Einsatz. Als Kulmus vor mehr als 20 Jahren mit seiner Kräuterküche begonnen hat, schlug ihm viel Unverständnis entgegen. „Ich musste mit Engelszungen auf manche Gäste einreden“, erzählt er heute schmunzelnd. 2004 sei dann der Durchbruch gekommen – die Menschen entwickelten ein neues Gesundheitsbewusstsein, regionale Küche wurde zum Trend.

Kräutergarten

Idyllisch: Der Kräutergarten von Axel Kulmus

Die Heilpflanzen, mit denen Kulmus seine bodenständigen Gerichte verfeinert, stammen aus dem anliegenden Kräutergarten mit seinen mehr als 80 Sorten. Wenn das Wetter mitmacht, können die Gäste auch inmitten der duftenden Blüten speisen. Wird es kühl, locken die urige Wirtsstube mit ihren knarrenden Holzdielen oder der ehemalige Stall mit seinem rustikalen Flair.

Gäste von außerhalb können in einem der 14 Zimmer oder einer der zwei Ferienwohnungen absteigen. Das Sympathische: Trotz der Auszeichnungen vom Varta-Führer, dem Guide Michelin oder dem Feinschmecker sind die Preise weder für die Speisen noch für die Übernachtungen überzogen: Das Doppelzimmer gibt es ab 102 Euro.

Wer seinen Sommerurlaub im Allgäu verbringen möchte, sollte mit der Planung nicht allzu lange warten. Zwar sind die Übernachtungszahlen 2020 über das ganze Jahr gesehen um 27 Prozent auf 9,9 Millionen zurückgegangen, auf Ferienwohnungen, Bauernhöfe oder kleine Häuser gab es aber einen wahren Besucheransturm. Das kann auch Kulmus bestätigen: „Wir wussten gar nicht mehr, wo oben und unten ist.“ Insgesamt konnte er sich im vergangenen Jahr daher gut über Wasser halten. „Wir sind noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen“, berichtet er erleichtert.

Familie in Nationalpark im Allgäu

Erlebnisreich: Touren mit den Rangern des Naturparks Nagelfluhkette

Bei den Hotels haben die Übernachtungen im Juli und August hingegen nur langsam zugenommen. Erst im September sind sie im Vergleich zum Rekordjahr 2019 gestiegen – um acht Prozent.

NATUR PUR AUF DER NAGELFLUHKETTE

„Das hat uns auch überrascht, doch viele Besucher waren einfach verunsichert“, erklärt Simone Zehnpfennig, Pressesprecherin der Tourismus-Dachorganisation Allgäu GmbH, den Besucherrückgang. Für dieses Jahr erwartet sie keine Besserung. Immer noch seien einige attraktive Ferienwohnungen frei. „Die Menschen buchen noch zurückhaltender als im letzten Jahr.“

Dabei ist das Allgäu eine der Top-Alternativen zur Auslandreise. Wer es sportlich mag, kann sich beim Wandern, Radfahren, Klettern oder Wassersport austoben. Entspannung findet sich in den Wellnesshotels, den Thermen sowie im überregional bekannten Erlebnisbad Aquaria Oberstaufen mit seinen Saunen, Dampfbädern und Solebecken. Zudem laden malerische Städtchen wie Kempten, Memmingen, Isny, Wangen oder Kaufbeuren zum Bummeln ein.

Selbst den Bodensee, besser gesagt die Stadt Bregenz mit ihrer spektakulären Seebühne, erreicht man von Stiefenhofen aus in einer halben Stunde mit dem Auto. Ob der Rigoletto hier ab dem 21. Juli noch einmal steigen darf, weiß wohl aktuell niemand, doch der überdimensionale Clownskopf, der die Kulisse bildet, kann das ganze Jahr über bewundert werden.

Allgäu Aussicht

Weitläufig: Die Nagelfluhkette umfasst 14 Berge

Doch zurück ins Allgäu: Wer das volle Programm mit Bergbahnen, Kuhgeläut und urigen Sennhütten will, ist im Naturschutzgebiet Nagelfluhkette mit seinen schroffen Gipfeln und kühlen Schluchten genau richtig. Bevor es losgeht, bietet sich ein Besuch im Naturparkzentrum AlpSeeHaus in Immenstadt-Bühl an. In dessen Erlebnisausstellung kann man spielerisch in den einzigen länderübergreifenden Naturpark zwischen Deutschland und Österreich eintauchen. Hier erfahren die Besucher, welche seltenen Tiere und Pflanzen in den Wäldern, Gewässern und Mooren sowie auf den Weiden zu Hause sind.

Familien kommen am angeschlossenen „Skytrail“ mit Kletterfelsen und Piratenspielplatz kaum vorbei. Wer es geruhsamer angehen will, startet vom Infozentrum aus zu einem Spaziergang am Alpsee, dem größten Natursee des Allgäus. An dessen rechtem Ufer führt eine wunderschöne, idyllische Seepromenade entlang, die immer wieder an kleine Badebuchten und Liegewiesen führt.

Und dann geht es endlich hoch hinaus. Den anstrengenden Aufstieg auf die 14 Berge der Nagelfluhkette kann man sich ein Stück weit ersparen, wenn man sich mit einer der drei Bergbahnen – Mittag-, Hochgrat- oder Imbergbahn – nach oben gondeln lässt. In luftiger Höhe erwarten die Ausflügler hunderte verschiedene Wanderwege – von herausfordernden Tagestouren bis zum halbstündigen Spaziergang ist alles dabei. Das Schöne: Selbst wer sich nur etwas die Füße vertreten möchte, darf sich über ein fantastisches Alpen-Panorama freuen, wenn er an duftenden Almwiesen vorbeispaziert, das allgegenwärtige Bimmeln der Kuhglocken immer im Ohr.

Brot

Frischer geht’s nicht: Vesper mit hausgebackenem Brot

Und schon ist man bei der ersten Alpe, wie sich die bewirteten Berghütten hier nennen, und kann es sich bei hausgemachtem Käse, einem frischen Glas Milch und hausgebackenem Brot gutgehen lassen. Wer die Naturschauspiele den gastronomischen Highlights vorzieht – oder beide miteinander verbinden möchte –, der sollte sich einen Ausflug zu den Buchenegger Wasserfällen nicht entgehen lassen.

ALLES IN SICHERER ENTFERNUNG

Etwas weniger steil gestaltet sich der Abstieg in die Schlucht, wenn man die Wanderung im Örtchen Steibis beginnt. Mit dem schneebedeckten Hochgrat im Blick, geht es zunächst gemütlich vorbei an saftig grünen Wiesen, eiskalten Brunnen und natürlich den allgegenwärtigen Kühen. Dann folgt der knackige Abstieg, der Trittsicherheit erfordert, aber auch mit fitten Kindern oder der Kraxe auf dem Rücken machbar ist. In der Weißachschlucht angekommen, erfrischt das eiskalte Wasser im Nu wieder die müden Beine, während die Gischt der herunterstürzenden Wassermassen das erhitzte Gesicht benetzt.

Buchenegger Wasserfall

Wanderung mit Abkühlung: Tour zu den Buchenegger Wasserfällen

Leider gilt hier wohl auch dieses Jahr: Abstand halten – und zwar nicht nur zu anderen Menschen. „Wir hatten im letzten Sommer einen außergewöhnlichen Besucherdruck bei uns im Naturparkgebiet“, gibt Max Löther zu bedenken, der hier für die Besucherlenkung zuständig ist. Deswegen hat der zuständige Verein eine Kampagne entwickelt. Unter dem Motto „Dein Freiraum. Mein Lebensraum.“ bekommen die Besucher des Schutzgebiets Infos, wie sie sich naturverträglich und im Einklang mit der Landwirtschaft bewegen sollten.

Damit wollen die Naturschützer sicherstellen, dass empfindliche Tiere wie das Birk-, Auer- oder Schneehuhn nicht gestört werden. Hierzu gehört etwa auch, keine Begegnungen mit seltenen Tieren zu posten – zumindest nicht mit Ortsangabe. So soll vermieden werden, dass es zum „Erlebnistourismus“ an diesen Stellen kommt.

Rindalphorn Bergflockenblume

Bergpanorama: Der Blick aufs 1834 Meter hohe Rindalphorn

Der ist aktuell auch an anderen Orten nicht erwünscht. Das Allgäu setzt daher auf eine gemeinsame Darfichrein-App, die nach Ostern gestartet ist. Sie soll Kontaktdaten unbürokratisch verwalten, um Öffnungen zu unterstützen. Zudem läuft die Bewerbung als Modellregion: Ist sie erfolgreich, könnten – analog zu Städten wie Tübingen – auch im Allgäu wieder mehr Freiheiten gewährt werden. Bis dahin gilt: auch einfach mal die Kein-Mensch-da-Pfade erkunden. Schließlich ist das Gebimmel der Kuhglocken ohne Stimmengewirr im Hintergrund noch viel idyllischer.

Aktuell:

Momentan wird von nicht notwendigen Reisen und Ausflügen in die Region abgeraten! Wer seinen Sommerurlaub plant, findet hier aktuelle Infos zum Infektionsgeschehen in Bayern: www.corona-katastrophenschutz.bayern.de

In Oberstaufen gibt es ein großes Testcenter für Schnelltests. Termine können online gebucht werden unter www.oberstaufen-testcenter.de

Buchcover: Allgäu

Vergessene Pfade Allgäu
33 stille Touren abseits des Trubels
von Gerald Schwabe
Verlag: Bruckmann, 2020
160 Seiten, Klappenbroschur
Preis: 19,99 Euro

 

 

 

Fotos: ©  Theresa Hilber, Rössle Kräuterwirt, Thomas Gretler, Moritz Sonntag, Rolf Eberhardt, Rössle Kräuterwirt, Rolf Eberhardt