„Ein rechtliches No-Go“: Studierendenvertretung erringt Sieg gegen den Staat KARRIERE & CAMPUS | 20.10.2020 | Philip Thomas

Festplatte Datenschutz

Durch Zufall gelangten Daten von 25.000 Studierenden der Albert-Ludwigs-Universität und der PH in Freiburg in die Hände des Bundesinnenministeriums (BMI). Drei Jahre lang haben die Behörden versucht, die zuvor kopierten, codierten Festplatten zu knacken – ohne Erfolg.Der Verfassungsschutz hat die Datenträger mittlerweile gelöscht. Doch das reicht den Studierenden nicht: Sie fordern, dass die Untersuchung für rechtswidrig erklärt wird.

August 2017: Irgendwo in Freiburg stürmen Polizisten eine Wohnung. Der Bewohner soll Unterstützer der durchs BMI verbotenen und als linksextremistisch eingestuften Website „linksunten.indymedia.org“ sein. Die Beamten beschlagnahmen mehr als 20 Festplatten und USB-Sticks. Zwei davon gehören der Freiburger Studierendenvertretung (StuRa), dort ist der Mann als EDV-Spezialist beschäftigt. Der Beginn eines langen Rechtsstreits.

Denn auf den beiden Datenträgern befinden sich laut StuRa keine Anleitungen zum Bombenbasteln, sondern private Daten von rund 25.000 Studierenden. „Auf dem Backup waren Tausende Personen- und Kontoinformationen, Archive aus U-Asta-Zeiten sowie Fotos von Protestaktionen. Das ist super sensibel“, sagt StuRa-Vorstand Lou Mollat zu dem Vorfall heute. Mit der verbotenen Seite habe die Vertretung nichts zu tun: „Es gab keine Verbindungen.“

Lou Mollat von der StruRa

Freut sich, dass die Verschlüsselung gehalten hat: Lou Mollat von der StuRa.

Die gut verschlüsselten Datenträger gibt das Ministerium bald zurück. Nicht aber, ohne vorher Kopien anzufertigen und diese für weitere Untersuchungen an das Bundesamt für Verfassungsschutz, das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei weiterzugeben, wie sich erst auf Nachfrage rausstellt. Für die StuRa eine grobe Ungerechtigkeit. „Es kann nicht sein, dass einfach so ins Blaue hineingefahndet wird“, schimpft Mollat.

Auch für Anwalt Udo Kauß stehen die Ermittlungen nicht im Verhältnis: „Ich halte das für ein rechtliches No-Go.“ Für Untersuchungen dieser Größenordnung fehlten den Behörden konkrete Hinweise. Noch im selben Jahr gehen Eilverfahren bis vors Verfassungsgericht nach Karlsruhe, bleiben dort aber erfolglos.

»Sensible Daten«

In August 2019 reicht die StuRa Klage beim Verwaltungsgericht Freiburg ein. Diesmal im Hauptsacheverfahren, in dem die Angelegenheit anders als im Eilverfahren nicht nur vorläufig überprüft wird. Statt einer Erwiderung folgt im Juli 2020 die große Überraschung: Das BMI verkündet, es habe kein Interesse mehr an der Entschlüsselung der Daten. Auch alle Kopien habe man gelöscht. Kauß vermutet: „Das BMI möchte sich einer gründlichen gerichtlichen Überprüfung entziehen.“

Dass die Kopien gelöscht wurden, hält der Anwalt für glaubhaft. Auch, wenn in den entsprechenden Erklärungen des Bundesministeriums, die dem chilli vorliegen, sämtliche Unterschriften geschwärzt sind. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, sagt der Anwalt, der sich seit mehr als 30 Jahren mit Geheimdiensten auseinandersetzt.

Dass sich die Behörden drei Jahre lang an den codierten Platten die Zähne ausbissen, freut die Studierenden: „Damit haben wir ehrlich gesagt nicht gerechnet“, so Mollat. Für den Biologiestudenten ist die Angelegenheit damit allerdings noch nicht vom Tisch: „Wir hätten uns gewünscht, dass die Rechtswidrigkeit der Aktion festgestellt wird.“ Der 23-Jährige vermutet ebenfalls: „Dem wollte man zuvorkommen. Durch so ein Urteil werden Grenzen gesetzt.“

Kauß leitet bereits erneut rechtliche Schritte ein: Die vierte Kammer des Freiburger Verwaltungsgerichts muss bald entscheiden, ob die Behörden widerrechtlich gehandelt haben – und wer die Kosten des Rechtsstreits trägt. Wie das Verfahren ausgeht? „Ich habe so eine Ahnung“, orakelt der Anwalt. Es handle sich dabei um dieselbe Kammer, die vor drei Jahren auch die Hausdurchsuchung anordnete und im Frühjahr 2018 einstweiligen Rechtsschutz dagegen ablehnte. Sollte das Verwaltungsgericht erneut gegen die Studierenden entscheiden, müsse Kauß wohl weiterhin Gerichte bemühen, notfalls wieder eines in Karlsruhe.

Fotos: © iStock/unomat, pt