Aki Kaurismäkis neuer Film startet am Donnerstag im Harmonie-Kino Kinonews | 28.03.2017

Im Kohlehaufen im Heizraum eines eben im Hafen von Helsinki angelandeten Frachtschiffs wird zunächst ein Gesicht erkennbar, dann schält sich die ganze Gestalt daraus hervor. Unbeachtet von der Schiffsbesatzung verlässt der blinde Passagier den Dampfer und geht als pechschwarzer Mann durch belebte Straßen und Gebäude der finnischen Hauptstadt – ohne dass jemand von ihm Notiz nähme: Kein einziger Passant bleibt stehen, um sich nach ihm umzudrehen, niemand stutzt oder starrt ihn an, alles geht seinen gewohnten Gang weiter. Auch der Straßensänger an der Ecke wundert sich nicht, dass plötzlich dieser kohlestaubbedeckte Mensch vor ihm steht und sich nach einer öffentlichen Dusche erkundigt. Und der schwarzhäutige Aufseher der gut besuchten Badeanstalt im Hauptbahnhof fragt den nach der Reinigung wieder hellhäutig Gewordenen auf dessen Frage nach der nächsten Polizeistation lediglich, ob er sicher sei, dass er dort wirklich hinwolle.

Er will: Khaled kommt aus Syrien, hat einen langen, entbehrungsreichen Fluchtweg quer durch Europa hinter sich, hofft auf Asyl. Und muss dieses bei der Polizei beantragen. Woraufhin er erst einmal in eine Sammelunterkunft gesteckt wird. Dort lernt er den flucht- und asylerfahrenen Iraker Mazdak kennen, dem er seine Geschichte erzählt: Dass er aus Aleppo kommt, dass er und seine Schwester die einzigen noch lebenden Mitglieder seiner Familie sind und dass er diese Schwester während der Flucht verloren hat: Die Grenze zwischen zwei Balkanstaaten wurde just in dem Moment geschlossen, als er schon hüben war – und sie noch drüben. Über das Handy und die vielfältigen Kontakte Mazdaks wird es Khaled schließlich gelingen, die Schwester ausfindig zu machen. Doch zunächst muss er durch die Befragungsmühle – mit dem Ergebnis, dass sein Antrag auf Asyl zurückgewiesen wird. In der Ausländerbehörde wird die Ablehnung damit begründet, dass Teile Aleppos wieder sicher seien; gleichzeitig läuft dort im Frühstücks-Fernsehen eine Nachrichtensendung mit Kriegsbildern von schweren Kämpfen in der kaputt gebombten Stadt.

Mit Hilfe einer Mitarbeiterin des Wohnheims entzieht sich Khaled der drohenden Abschiebung; er taucht unter – und hat bald keinen Schutz mehr vor den Nachstellungen und Gewaltattacken einer Bande Neonazis – den einzigen Einheimischen, denen er schon bei seinen ersten Schritten in Helsinki auffiel. Und die sich seither an seine Fersen geheftet haben. Als er bei einem ihrer Übergriffe in letzter Minute von solidarischen Obdachlosen gerettet wird, lässt er sich hinter den Abfallcontainern eines Restaurants nieder. Und trifft auf die zweite Hauptfigur des Films: den kauzigen Restaurantbesitzer Wilkström, dessen Werdegang bis zur Begegnung mit Khaled parallel zu dessen Geschichte zu sehen ist.

Der eher bieder wirkende Geschäftsmann ist nämlich auch in ein neues Leben gestolpert: Schweigend hat sich der wortkarge Mann eines Morgens von seiner langjährigen alkoholkranken Frau getrennt – indem er der ungläubig Dreinschauenden einfach Hausschlüssel und Ehering auf den Frühstückstisch legte. Kurz darauf hat er auch mit seiner gleichfalls langjährigen Tätigkeit als Vertreter für Herrenhemden Schluss gemacht – und mit dem Gewinn aus einem – übrigens genial altmodisch inszenierten – Pokerspiel die besagte, ziemlich marode Gaststätte samt skurrilem Personal erworben, hinter dessen Mülltonnen er Khaled findet. Und sich seiner, nachdem sie sich erst einmal kräftig prügelten, mit selbstverständlicher Solidarität annimmt. Er stellt den Obdach- und Hoffnungslosen als Küchenhilfe und Putzmann ein, besorgt ihm gefälschte Papiere, quartiert ihn in seinem ehemaligen Herrenhemden-Lagerraum ein, organisiert den illegalen Transport der inzwischen aufgefundenen Schwester nach Helsinki.

Irgendwie schlagen sie sich gemeinsam durch, erleben und bestehen, zusammen mit der schrägen Kneipen-Crew, die unglaublichsten Abenteuer und gastronomischen Experimente. Doch dann schlagen die Nazis wieder zu.

Aki Kaurismäki macht wie schon in „Le Havre“ auch in diesem zweiten Teil seiner Hafen-Trilogie keinen Hehl aus seiner Haltung: Er stellt Nazis nicht beschönigend oder gar verständnisvoll als „besorgte Bürger“ dar, sondern als das, was sie sind: Rassisten, die auch vor Mord nicht zurückschrecken. Und seine Zuneigung gilt den Underdogs, den Außenseitern der Gesellschaft, den Gebeutelten, Gestrandeten. Und so sind wohl auch die ersten Minuten des Films als – leider utopische – Botschaft zu verstehen: Wie schön wäre es doch, wenn Menschen nicht mehr in unterschiedliche Kategorien gepackt würden, wenn äußere Merkmale keine Rolle mehr spielten. Wenn ein wie auch immer farbiger Mensch als Gleicher unter Gleichen durch die Stadt gehen könnte. Ohne wie auch immer geartete Blicke auf sich zu ziehen.

Für diesen fast märchenhaften Film, der den Blick fürs Detail schärft, wurde Aki Kaurismäki auf der Berlinale 2017 mit dem Silbernen Bären als bester Regisseur ausgezeichnet.

Text: Erika Weisser / Bilder: © putnik Oy; Malla Hukkanen

Die andere Seite der Hoffnung
Finnland 2016
Regie: Aki Kaurismäki
Mit: Sherwan Haji, Sakari Kuosmanen, Ilkka Koivula u.a.
Verleih: Pandora Film
Laufzeit: 98 Minuten
Kinostart: 30. März 2017
Trailer: