Im Sumpf der Heuchelei: "Teheran Tabu" zeigt Ansichten einer widersprüchlichen Gesellschaft Kinonews | 13.10.2017

Ein beeindruckendes Spielfilmdebüt legt der gebürtige Iraner Ali Soozandeh mit „Tabu Teheran“ vor. Der in Deutschland lebende Regisseur und Drehbuchautor eröffnet in diesem ziemlich provokanten und unverhohlen gesellschaftskritischen Animationsfilm beredte Einblicke in das widersprüchliche Alltagsleben im heutigen Iran: Innenansichten eines Daseins zwischen streng religiösen Gesetzen und Unterdrückung einerseits, und Korruption, tabuisiertem Sex, Drogen und Vergnügungsindustrie andererseits.

Der Ensemblefilm wurde mit echten, ebenfalls in Europa lebenden iranischen Schauspielern gedreht und durch das Rotoskopie-Verfahren zu einer kompromisslosen und realistischen filmischen Graphic Novel; er hatte bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes seine Weltpremiere und kommt Mitte November in die deutschen Kinos.

Im Mittelpunkt des Geschehens stehen drei Frauen, zwei Männer und ein Kind, deren Wege sich zufällig kreuzen und deren von weiteren Protagonisten massiv beeinflussten Schicksale sich zusehends miteinander verweben. Zunächst suchen sie nur nach ein wenig mehr Freiheit, nach ein bisschen mehr Selbstbestimmung, nach kleinen Fluchten aus ihrem offenbar streng überwachten und in Stagnation befindlichen Dasein. Doch dann geraten sie immer tiefer in den Sumpf von Scheinheiligkeit, Abhängigkeit und Verlogenheit, aus dem sie eigentlich entkommen wollten.

Da ist die allein erziehende Pari, die sich von dem wegen Drogenhandels inhaftierten Vater ihres kleinen Sohns Elias scheiden lassen will. Da er keinen Unterhalt zahlt, arbeitet sie als Prostituierte und wird von einem recht einflussreichen Richter ausgehalten, der ihr ein schickes Apartment bezahlt. Dort freundet sie sich mit Nachbarin Sara an, deren Mann ihr nicht erlaubt, selbst zu arbeiten. Dort lernt sie auch den Musikstudenten Babak kennen, der in einem (eigentlich nicht existierenden) Nachtclub als DJ jobbt, dort die schöne Donya trifft – und nach einem One-Night-Stand mit ihr in einer Bredouille steckt, aus der ihn nicht einmal sein stets von unorthodoxen Ideen sprühender Freund Amir befreien kann: Ihnen fehlt das nötige Geld für eine Operation, die Donya noch vor ihrer Hochzeit wieder zur Jungfrau machen soll.

Soozandehs Drehbuch ist zwar kunstvoll konstruiert, dennoch ist sein Beziehungsgeflecht weder forciert noch kompliziert: Die Begegnungen und Kontaktaufnahme der Figuren wirkt ebenso plausibel wie die Vorkommnisse, die daraus resultieren. Die animierten Bilder tun ihr übriges: Durch die mit ihr einhergehende Verfremdung entsteht eine (alp)traumhafte Atmosphäre, in der sich nur winzige Hoffnungsmomente andeuten.

Teheran Tabu
Deutschland/Österreich 2017
Regie: Ali Soozandeh
Mit: Elmira Rafizadeh, Zar Amir Ebrahimi u.a.
Verleih: Camino Filmverleih
Laufzeit: 96 Minuten
Start: 16. September 2017

Text: Erika Weisser / Bilder: Camino Filmverleih