30 Jahre ohne Stromanschluss: Zweifamilienhaus in Lörrach versorgt sich selbst mit Energie Bauen & Wohnen | 25.02.2019 | Philip Thomas

Beim Thema Energiewende denken viele an Beschlüsse aus Berlin, Erneuerbares und die Farbe Grün. Dabei steht eine Antwort auf den Klimawandel längst in Lörrach und ist weiß. Die Rede ist vom Niedrigenergiehaus von Siegfried Delzer und seiner Familie. Vor 30 Jahren beschloss der Ingenieur, nachhaltig zu wohnen – und lebt seitdem ohne Stromanschluss.

Schon in den 80er-Jahren suchten Delzer und seine Familie nach einer selbstbestimmten Lösung für nachhaltiges Wohnen. „Wir wollten einen Anfang im Kleinen mit einfacher Technik. Ein radikales Experiment, aber mit der nötigen Behaglichkeit und Außenwirkung“, sagt der Diplom-Ingenieur und plante sein Haus in Lörrach-Hagen als überzeugter Tüftler kurzerhand selbst.

Senkrechte Solaranlage bringt doppelten Ertrag

Seine Prämisse: Lieber effizient mit Energie umgehen, als möglichst viel davon zu produzieren. Um das Gebäude durch die Planungsphase zu bringen und das Haus vorab simulieren zu können, nutzte er ein von ihm selbst entwickeltes Computerprogramm. Darin konnten Temperaturverläufe sowie Wärmeverluste bis hin zum Gesamtenergieverbrauch des Hauses realitätsgetreu dargestellt werden.

Der Ingenieur geht davon aus, „dass unser Haus eines der ersten, wenn nicht das erste Gebäude sein dürfte, das anhand einer dynamischen Gebäudesimulation auf Energiebedarf und Behaglichkeit mit all seinen Wechselwirkungen simuliert und optimiert wurde.“

Der Strombedarf des Gebäudes wird zu 90 Prozent über eine Photovoltaikanlage gedeckt. Überschüssiger Strom aus Sonnenstrahlen wird in ­einer 24 Volt-Gabelstaplerbatterie ­­gespeichert oder in Form von Wärmeenergie abgegeben. Alternativ arbeitet ein Dieselmotor als Kraft-Wärme-Kopplung zur gleichzeitigen Gewinnung von Energie zur Umwandlung in Strom und nutzbarer Heizwärme. Je nach Winter rattert der Motor nur 50 bis 100 Stunden im Jahr.

»Wir wollen mit dem Konzept ermutigen «

Das Haus mit Wohn- und Büroteil und all seiner Technik versteht Delzer als Konzept. Das Zentrum des Gebäudes bildet ein neun Meter hoher Energieschacht, in dem ein Luft-Wasser-Wärmetauscher eingebaut ist und über den Heizenergie umgeschlagen wird. Die Wärme stammt in der Regel aus Kastenfenstern, die als Luftkollektor fungieren. „Wir wollen mit dem Konzept unseres Hauses andere ermutigen, diesen Weg zur Energieunabhängigkeit zu gehen”, sagt er.

Auch Böden und Wände des Hauses sind besonders. Sie werden von einem geschlossenen System aus Hohlräumen durchzogen, in das warme Luft von 25 bis 30 Grad aus dem Energieschacht gespeist wird. Zur kalten Jahreszeit ergänzt ein Kachelofen im zentral angeordneten Wohnbereich die Wärmegewinnung. Die geringen Verluste des ausgeklügelten Hauses machen das Heizen nur an wenigen kalten und gleichzeitig sonnenarmen Tagen im Jahr notwendig.

Das Projekt ist noch nicht am Ende seiner Energieentwicklung. Delzer hat sein Heim mit konventionellen Materialien und jederzeit austauschbaren Komponenten ausgestattet. Damit können in Zukunft noch bessere und effizientere Werte erreicht werden. Aus einem Niedrigenergiehaus wird so ein Nullenergiehaus. Sogar die Verwandlung in ein Plusenergiehaus, also ein kleines Kraftwerk, das mehr Energie produziert als verbraucht, ist möglich. Auch die Gesamt-energiebilanz kann sich sehen lassen. Die Technik im Haus ist bewusst einfach gehalten und daher kaum anfällig und wird – erst in zweiter Generation – stets zu Ende genutzt, um endliche Rohstoffe und noch mehr Energie zu sparen.

Foto: © Delzer Kybernetik GmbH