Richter contra Bürgermeister: Die Altlasten-Affäre in Heitersheim schwelt weiter Bauen & Wohnen | 15.07.2024 | Lars Bargmann

Aktenzeichen 14 O 290/21. Es ist ein trüber Mittwochmorgen, als der Vorsitzende Richter Jörg Heller im Saal 5 des Freiburger Landgerichts unter diesem Zeichen den Zeugen Daniel Janßen befragt. Janßen ist Notar. Er hat im Herbst 2019 die Kaufverträge zwischen der Stadt Heitersheim und Grundstückskäufern im Neubaugebiet Staaden III erarbeitet. Kaufverträge, in denen Altlasten verschwiegen wurden. Blei, Arsen, Kupfer, Cadmium, Zink. Man könnte es ein schmutziges Geschäft nennen. Involviert ist nicht zuletzt der damalige Bürgermeister von Heitersheim und amtierende Rathauschef von Müllheim.
Janßen berichtet, dass er damals von Bürgermeister Martin Löffler persönlich kontaktiert worden sei, die Stadt wolle das Neubaugebiet Staaden III vermarkten, ob er die Kaufverträge erarbeiten könne. Danach habe er keinen direkten Kontakt mehr zu Löffler gehabt. Sein Notariat habe die Entwürfe für die Kaufverträge erarbeitet. Darin – einer der Kaufverträge aus Oktober 2019 liegt der Redaktion vor – steht die folgenschwere Formulierung: „Der Veräußerer erklärt, dass ihm nicht erkennbare Mängel, insbesondere schädliche Bodenveränderungen und Altlasten des Grundstücks, nicht bekannt sind.“
Der Redaktion liegt zudem ein 68 Seiten umfassendes Bodengutachten fürs Baugebiet vor. Erstellt mit der Expertise vom Büro HPC AG. Datum ist der 21. Oktober – 2016. Drei Jahre vor dem Verkauf der Grundstücke. Darin wird mehrfach auf die Altlasten hingewiesen. So heißt es etwa: „Aufgrund eines starken Bleigehalts in der Probe MP1 sind die Auffüllungen abfalltechnisch in eine Qualitätsstufe höher als Z2 einzuordnen.“ Z2 ist schon die höchst belastete Kategorie. Der Bodenaushub könne keinesfalls ohne weitere Prüfungen entsorgt werden.

Noch vor der Vollendung: Nur wenige Häuser brauchen noch eine Putzfassade.
Noch im Spätherbst 2019 hatte ein erster Käufer versucht, seinen Aushub für die Baugrube bei der Deponie in Bollschweil loszuwerden. Das zuständige Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald hatte die Eheleute Demirel-Akgün mit dem Hinweis abgewiesen, dass die Ergebnisse für den Parameter Blei „leider weit oberhalb des zulässigen Grenzwerts für Bollschweil“ liegen. Der daraufhin angeschriebene Bürgermeister Löffler teilte per Mail mit: „Das ist in der Tat auch für uns völlig überraschend. Wir nehmen uns der Sache unverzüglich an.“
Notar Janßen kannte das Gutachten nach eigener Aussage nicht. Erst als die Presse den Fall aufgriff (gemeint ist unsere Geschichte „Rechtsstreit im Rathaus“ aus August 2020), habe er davon Kenntnis erlangt. Zu den verschiedenen Beurkundungsterminen mit den Käufern habe das Gutachten jedenfalls nicht vorgelegen. Er habe im Vorfeld der heutigen Verhandlung auch noch einmal alle Vorgänge (E-Mails, Briefe) in seinem Notariat untersucht: „Es gab nicht einen einzigen Hinweis auf die Bodenproblematik.“
Für die Baurechtsspezialistenkanzlei Steiger, Schill und Kollegen vertritt Nicolas Schill 9 der 19 Käufer. Als die Sache ruchbar wurde, hatte das Rathaus die Verantwortung fürs Schlamassel beim Notar gesucht. Wie er das aufgenommen habe, fragte Schill den Notar. „Ich war sehr aufgebracht, das war völlig unverständlich. Von der Stadt hätte ich schon erwartet, dass man diesen Punkt selber klärt.“ Wenn das Gutachten vorgelegen hätte, „hätte ich die Verträge nicht so beurkundet“.
In einem der Redaktion vorliegenden Protokoll des Landgerichts vom 12. Dezember 2023 hatte Bürgermeister Löffler bei seiner Zeugenvernehmung ausgesagt, dass bei den Gesprächen mit den Käufern „natürlich immer auch über die Bodenbeschaffenheit gesprochen“ worden war. Auf Vorhalt des Richters, dass das der Formulierung in den Kaufverträgen widerspreche, hatte Löffler erklärt: „Das ist ein bedauerlicher Fehler. Wir haben uns da auf den Notar verlassen.“ Auf viele weitere Fragen entgegnete der Rathauschef, dass er sich daran „nicht mehr erinnern“ oder „jetzt nicht mehr sagen“ könne.

Symbolisch: Auch das Verfahren um Schadensersatz steckt aktuell in einer Sackgasse.
Aus den Vernehmungsprotokollen von 13 Zeugen und insgesamt 18 Klägerparteien geht hervor, dass bei den Bewerber- und Vergabegesprächen im Rathaus offenbar gar nicht über die Bodenbelastungen geredet worden war. Sondern hauptsächlich darüber, wer von den ausgewählten Bewerbern welches Grundstück bekommen könne.
In einem Schriftsatz ans Landgericht kommt Schill mit vielen Argumenten zu dem Schluss, dass die Aussagen von Löffler und dem Rathausmitarbeiter Alexander Faller „unwahr“ sind. Weder hätten die Käufer bei ihren Finanzierungsanfragen bei Banken diesen – finanziell durchaus gewichtigen – Posten erwähnt, noch Angebote für die Entsorgung eingeholt, was selbstverständlich gewesen wäre, wenn sie es gewusst hätten.
Schill verweist zudem auf eine in den Akten zu findende E-Mail von Löffler vom 18. November 2019, in der der Bürgermeister an die Erwerber unter anderem schreibt, aus „Kulanzgründen“ bei einigen Grundstücken einen Bodenabtrag vorzunehmen, „sodass Ihnen weniger Kosten durch den zu entsorgenden Bodenaushub entstehen“. Wenn, wie Löffler ausgesagt hatte, bei den Vergabegesprächen die Bodenbelastung ein Thema gewesen wäre, mache die E-Mail gar „keinen Sinn“.
In zwei Fällen war es offenbar sogar so, dass über den „Altlasten-nicht-bekannt-Passus“ vorm Notar – auf Nachfragen der Käufer – gesprochen wurde. Geändert wurde dieser aber im Termin nicht. Weil es für diese beiden Grundstücke wohl keine Rolle spielen würde. „Es stellt einen unglaublichen Vorgang dar, dass die Beklagte als öffentlich-rechtliche Körperschaft in einem notariellen Beurkundungstermin erklärt, dass die Regelung keine Rolle spielen würde“, schreibt Schill ans Gericht.
Das Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald ist die Aufsichtsbehörde für die Malteserstadt. Die gerichtlichen Auseinandersetzungen sind am Sitz an der Stadtstraße in Freiburg indes kein Thema: „Die Grundstücksverkäufe der Stadt sind privatrechtliche Kaufverträge und unterliegen somit nicht der Prüfung und Zuständigkeit beim Landratsamt“, teilte die Behörde mit.

Gelungene Ortserweiterung: Der Bebauungsplan war auf Familien mit Kindern zugeschnitten.
Nach unserem ersten Medienbericht und einem Gutachten der auf Strafsachen spezialisierten Kanzlei Gillmeister Rode Schmedding, wonach der Abschluss der Kaufverträge „sowohl die Voraussetzungen eines Betruges als auch einer Untreue“ erfüllt, war auch die Staatsanwaltschaft auf der Bühne erschienen. Die ermittelte, stellte das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Löffler mangels hinreichenden Tatverdachts schließlich ein.
Schill hatte der Gemeinde Arglist vorgeworfen. Richter Heller sieht das anders: „Hier liegt keine arglistige Täuschung vor. Und ich sehe auch keine Stadt, die sozusagen eine Schweinerei betrieben hat.“ Er sagte bei der Zeugenbefragung des Notars aber auch: „Es spricht nichts dafür, dass das stimmt, was Herr Löffler und Herr Faller gesagt haben.“ Wohlgemerkt, im Falle Löfflers, als Amtsträger vor Gericht gesagt haben.
Bei einem Rundgang durchs Neubaugebiet Anfang Juli ist zu erkennen, dass es grundsätzlich etwas höher liegt als die umliegenden Quartiere – damit möglichst viel belastetes Material auf den Grundstücken verbleiben kann. Teilweise wurden die Gebäude ohne Kellergeschoss gebaut. Zwei städtische Mitarbeiter besorgen den Grünschnitt an Baumquartieren. An einem Haus hängt die türkische Flagge. Die Türkei hat es ins Viertelfinale der EM geschafft, viele Anwohner haben türkische Wurzeln. Zwei junge Frauen schlendern die Straße Im Staaden entlang. An einem Mast hängt unter dem Straßennamen ein Sackgassenschild. Irgendwie symbolisch.
Zivilrechtlich geht es für die Käufer um Schadensersatz. Der ist im Prinzip unstrittig. Da sich die Parteien bisher trotz mehrfacher Angebote und Gegenangebote nicht einigen konnten – und somit in einer Sackgasse landeten –, der Vorsitzende Richter das selber auch nicht bewerten kann, wird nun ein Experte gesucht, der das kann.
Warum beim Erstellen der Kaufverträge, die ein halbes Dutzend Mal zwischen Notariat und Rathaus hin und her gingen, nie die folgenschwere Formulierung geändert wurde, die in krassem Widerspruch zum Gutachten steht, bleibt ein Rätsel.
Fotos: © bar; Montage: business im Breisgau; Map: © DE/BKG, GeoContent, Maxar Technologies, 2020; Bebauungsplan: Stadt Heitersheim