»Wir haben noch einige Baustellen«: Baubürgermeister Martin Haag über Dietenbach und Kleineschholz Bauen & Wohnen | 18.02.2022 | Lars Bargmann

Haag

Das Freiburger Rathaus plant weiter am größten Städtebauprojekt in Deutschland, dem Dietenbach. Und will erstmals in der Geschichte der Stadt mit Kleineschholz ein ganzes Neubaugebiet nur von gemeinwohlorientierten Unternehmen bauen lassen. Im Gespräch mit chilli-Chefredakteur Lars Bargmann spricht Baubürgermeister Martin Haag über Kritiker, Erbbaurechte und darüber, worüber er nicht sprechen möchte.

B&W: Der neue Stadtteil Dietenbach soll neben vielen anderen Eigenschaften auch „klimaneutral“ sein. Gegen das zentrale Energiekonzept gab es indes vielstimmige Kritik, durchaus aus berufenem Munde. Die Wärmekonzession ist dennoch auf Basis der Studie des Büros EGS-plan ausgeschrieben worden. Warum?

Haag: Für uns hat das eine hohe Bedeutung, das Konzept ist die Grundvoraussetzung für einen klimaneutralen Stadtteil. Wir nehmen das sehr ernst und nehmen für uns in Anspruch, das beste Konzept gefunden zu haben. Die von den Kritikern angeführten Lösungen sind in dem Maßstab des neuen Stadtteils eine große Herausforderung, und es ist auch nicht klar, wo sie hinführen würden. Übrigens ist ja auch zu erwähnen, dass sich etwa das Freiburger Ökoinstitut oder das Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme den Kritikern nicht angeschlossen haben.

B&W: Der Gemeinderat hat die Verwaltung aufgefordert, zu prüfen, ob sich anstelle der – wegfallenden – KfW-55-Förderung der ambitionierte KfW-40-Standard in der Ausschreibung vorgeben lasse. Das Rathaus hat das zunächst abgelehnt …

Haag: KfW-40 soll laut Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung ab 2025 ohnehin genereller Standard werden. Dann gehen wir da mit. Alles andere wäre nicht mehr zeitgemäß.

B&W: Fünf Prozent der Fläche soll vom zentralen Wärmeversorgungskonzept „unbelastet“ bleiben, um welche Flächen geht es?

Haag: Fünf Prozent sind eine Menge Holz, da reden wir dann von 350 Wohnungen. Dort könnte im Wege von Konzeptvergaben etwas noch Innovativeres entstehen. Allerdings müssen die Bewerber dann aufzeigen, wie sie noch besser als wir mit unserem Energiekonzept sein wollen. Und da sind wir gespannt.

B&W: Werden die fünf Prozent anteilig durch die sechs Bauabschnitte er­möglicht?

Haag: Das ist noch nicht entschieden, im 1. Bauabschnitt werden wir das aber nicht machen. Wir werden dem Gemeinderat für die folgenden Bauabschnitte 2 bis 4 mehrere Baublöcke vorschlagen, in denen keine Pflicht besteht, sich ans Wärmenetz anzuschließen.

B&W: Der Gemeinderat will noch eine Zweitmeinung für den Wasserstoff-Elektrolyseur. Wie ist der Stand der Dinge?

Haag: In der jetzigen Ausschreibung haben wir das Thema rausgenommen, den Elektrolyseur brauchen wir jetzt rechnerisch für den klimaneutralen Stadtteil noch nicht. Wir schreiben bisher nur die ersten vier Bauabschnitte aus. Wir müssen auch die Frage klären, ob eine solche Anlage im Stadtteil stehen muss oder nicht auch ganz woanders.

B&W: Sie haben unserer Redaktion mal (2018) gesagt, sie halten 50 Prozent nur für sozialen Mietwohnungsbau „für keine gute Entscheidung“. Zu günstigem Wohnungsbau zählten auch preisgebundener Mietraum und auch geförderte Eigentumswohnungen. Was sagen Sie heute?

Haag: Wir hatten danach einen Bürger­entscheid, daran müssen wir uns auch messen lassen und machen das auch. Außerdem haben sich seit 2018 die Förderbedingungen des Landes maßgeblich geändert. Wir erreichen jetzt auch Menschen, die vorher noch keinen Anspruch auf preisgebundenen Wohnraum hatten. Geförderter Miet­wohnungs­bau ist aber nicht alles. Die Welt ist sehr bunt, wir brauchen auch generationenübergreifendes Wohnen und wir müssen mehr Möglichkeiten bieten, auch Eigentum zu erwerben.

B&W: Wenn viel geförderter Wohnungsbau gemacht wird und der allenfalls eine schwarze Null in die Bilanz des Investors bringt, wird auf der anderen Seite das ­Eigentum noch teurer, als es sein müsste …

Haag: Da haben wir sicher noch ein paar Baustellen. Wir reden aktuell mit Bauträgern und wollen von ihnen wissen, wie die das sehen. Kosten könnten zum Beispiel über den Verzicht von teuren Tiefgaragen minimiert werden. Darüber hinaus führen wir weitere Gespräche mit dem Land, um noch bessere Förderungen im Mietwohnungsbau zu erreichen. Wenn der Bund jährlich 400.000 neue Mietwohnungen als Ziel ausgibt, dann muss von Bund und Land auch noch mehr Förderung kommen. Der soziale Mietwohnungsbau muss wirtschaftlich darstellbar sein.

B&W: Die Freien Wähler wollen wissen, wie sich das vom Gemeinderat beschlossene Verbot von städtischen Grundstücksverkäufen auf die Finanzierung des 850 Millionen Euro teuren Stadtteils auswirkt. Im Rathaus ist das offenbar unklar. Ist es nicht klar, dass es sich massiv negativ auswirkt?

Haag: Die einen, die bauen wollen, kritisieren das Erbbaukonzept, die wollen kaufen, weil es günstiger ist. Einige Fraktionen sagen, wenn wir verkaufen, ist das für die Stadt günstiger. Eines kann nur stimmen.

B&W: Was stimmt?

Haag: Auf lange Sicht es für die Kommune immer günstiger, Erbbau zu machen. Das machen Kirchen und Stiftungen ja auch so.

B&W: Es sollten, so stand es mal in einer städtischen Kalkulation, 750 Millionen Euro durch Grundstücksverkäufe erlöst werden.

Haag: Die Stadt hat 42 Prozent der Flächen. Also reden wir von 315 Millionen. Richtig ist, dass wir ein Liquiditätsproblem lösen müssen, und zwar haushaltskonform. Wie überbrücken wir das Problem? Die Antwort hat auch was mit der Verschuldung der Stadt zu tun. Das ist sicher nicht trivial, aber ich gebe da heute auch noch nicht auf. Zumal Erbbau auch ein Garant dafür ist, dass wir dauerhaft günstiges Wohnen gewährleisten können. Erbbau ist die Antwort auf Bodenpreisspekulationen.

B&W: Aber die Mieter und Käufer, die ja möglichst günstige Wohnkosten haben sollen, bezahlen den Grundstücksanteil für ihre Wohnungen über die Laufzeit der Erbpacht zwei oder drei Mal …

Haag: Sie zahlen wahrscheinlich einmal den Wert, haben aber am Ende der Laufzeit eben kein Grundstück zu vererben. Es ist doch normal, dass wir heute nicht auf alle Fragen schon Antworten haben. Wir sprechen hier gerade vom größten Städtebauprojekt in ganz Deutschland. Wir haben den Bürger­entscheid gewonnen, wir haben vor dem Verwaltungsgerichtshof gewonnen,wir haben ein tolles Konzept. Und eben auch noch ein paar offene Fragen.

B&W: Etwa die, ob und wann die Stadt und die Sparkasse die notwendige Abwendungsvereinbarung unterzeichnen und was drinsteht.

Haag: Wir versuchen, das in diesem Jahr fertig zu machen, zumindest die Eckpunkte.

B&W: Die Sparkasse, respektive deren Tochter EMD (Entwicklungsmaßnahme Dietenbach), muss für jedes weitere Jahr 800.000 Euro an Optionsgebühren zahlen …

Haag: Ob die EMD die Optionsverträge verlängert oder nicht, hängt nicht nur von der Abwendungsvereinbarung ab. Auch ohne die könnte sie die Optionen vielleicht schon in diesem Jahr ziehen, wenn die Eckpunkte stehen. Dafür brauchen aber auch wir noch viele Angaben.

B&W: Welche?

Haag: Das gehört nicht an diesen Tisch …

B&W: … doch, gerade an diesen Tisch gehört es.

Haag: Das mache ich nicht. Wir sind in sehr konstruktiven, allerdings nicht ganz einfachen Gesprächen. Da geht es aber auch um einen 15-Jahres-Horizont. Wir wollen das lieber bestmöglich ausloten als hopplahopp abzuschließen.

B&W: Ist es ausgeschlossen, dass die EMD die Vereinbarung nicht unterzeichnet und die Stadt dann deren Anteile kauft, kaufen muss?

Haag: Ich halte gar nichts für ausgeschlossen. Aber das ist kein Punkt, über den ich hier spekuliere.

B&W: Werden die Baugenossenschaften im Dietenbach bauen? Bisher heißt es von dort, dass die wirtschaftlichen Eckdaten das eher nicht zulassen werden …

Haag: Da müssen wir noch sehr viel Überzeugungsarbeit leisten. Ja, es geht um die Wirtschaftlichkeit. Aber um welche Wirtschaftlichkeit geht es? Da kommt es auch auf die Laufzeit der Wirtschaftlichkeitsberechnungen an. Die Vorstände der Genossenschaften sind der Wirtschaftlichkeit verpflichtet, aber auch dem Gemeinwohl.

B&W: Im geplanten Neubaugebiet Klein­­eschholz sollen ausschließlich gemeinwohlorientierte Unternehmen bauen dürfen. Was genau ist ein gemein-
wohl­orientiertes Unternehmen? Und wie wird das rechtssicher im Ausschreibungstext für die Grundstücksvergabe im Erbbau stehen?

Haag: Ein gemeinwohlorientiertes Unternehmen ist eines, das dauerhaft preiswerten Wohnungsbau zur Verfügung stellt. Und das können Genossenschaften, Miethäuser-Syndikate, Baugruppen und natürlich die Freiburger Stadtbau. Wenn das ein privater Bauträger auch kann, dann ist es okay.

„Ich will diesen Podestplatz nicht“

B&W: Wie will die Stadt das „dauerhaft“ absichern?

Haag: Wir koppeln das ans Erbbaurecht. Andernfalls, das hat unlängst auch das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil gesagt, lässt sich das nur für 30 Jahre verbindlich regeln.

B&W: In dieser Hinsicht ist Klein­eschholz die Blaupause für Dietenbach?

Haag: Genau, wenn auch mit 550 Wohnungen in viel kleinerem Maßstab. Wir haben aber jetzt schon eine extrem hohe Nachfrage, trotz Erbbaurecht.

B&W: Wäre Kleineschholz direkt am neuen Rathaus im Stühlinger nicht auch geeignet dafür, dass die Stadt selber für ihre Mitarbeiter ein preiswertes Angebot schafft?

Haag: Absolut. Wir werden als Stadtverwaltung da etwas machen, möglicherweise mit der Stadtbau. Wir wollen dort Wohnungen für zukünftige Mitarbeiter_innen, die sich von auswärts bei uns auf Stellen bewerben. Das wird aber befristet sein und eine Brückenfunktion haben. Wenn wir Personal nach Freiburg holen wollen, müssen wir beim Wohnen Punkte machen. Es gab erst unlängst wieder eine Studie, wonach Freiburg bei der Miete die drittteuerste Stadt in Deutschland ist. Als 30. größte Stadt will ich diesen Podestplatz nicht.

B&W: Dort gibt es kein Liquiditätsproblem?

Haag: Nein. In Kleineschholz machen wir alles über Ablöse. Die Wohnungsbauer zahlen einmal den Betrag fürs Grundstück.

B&W: Inwiefern verdient sich das Baugebiet das Etikett „innovativ“?

Haag: Die Vergabe nur an gemeinwohlorientierte Unternehmen ist sicher innovativ. Wir adressieren da ein ganzes Baugebiet nur an kleine und mittlere Geldbeutel, das gibt es so in Freiburg bislang noch nicht. Wir wollen nicht, dass sich das durch das Auslaufen von Preisbindungen so rasant verändert wie im Rieselfeld oder im Vauban. Und ich glaube auch, dass diese Bauherren dafür innovative Wohnkonzepte mitbringen.

B&W: Bis in diesen beiden Baugebieten Menschen wohnen, wird es noch ein paar Jahre dauern. Was passiert in der Stadt bis dahin?

Haag: Wir haben 2021 1095 neue Wohnungen genehmigt. Die kommen in diesem oder im nächsten Jahr.

B&W: 2020 war Corona laut Rathausangaben „schuld“ an nur 650 genehmigten Wohnungen, 2021 war auch Corona …

Haag: Corona taugte nicht vollständig als Erklärung. Wir hatten aber im ersten Coronajahr auch andere Probleme als im vergangenen. Wir hatten 2020 viele Mitarbeitende in Quarantäne und keine optimalen Onlinebedingungen. Jetzt haben wir Geimpfte, Geboosterte, und wir haben auch gelernt, online effektiver zu arbeiten.

B&W: Bei den 1095 sind allein 180 Wohnungen im neuen EKZ Landwasser und fast 70 von der Stadtbau im Mooswald. Wie sieht es dieses Jahr aus?

Haag: In den nächsten beiden Jahren werden wir unser 1000er-Ziel möglicherweise nicht erreichen. Aktuell haben die größten Bauvorhaben so ungefähr 15 Wohnungen. Mit 15 ist es mühsam, auf 1000 zu kommen.

B&W: Herr Haag, vielen Dank für dieses Gespräch.

Foto: © bar