Freiburger Kollektiv will mit Vulva-Kalender mehr aufklären Kultur | 18.10.2020 | Liliane Herzberg

Team-Foto „Mal so richtig hinschauen“: Das will das Freiburger Kollektiv vulvaversity.

Mal heiliggesprochen, mal als teuflisch verurteilt, selten sichtbar: Die Vulva spaltet die Gemüter. Bis heute hinkt die Aufklärung oft hinterher. Das Freiburger Kollektiv vulvaversity hat es sich zur Aufgabe gemacht, das weibliche Geschlechtsteil zu fotografieren, um ein unverfälschtes Abbild zu erstellen. Ab dem 17. Oktober gibt es die Bilder als Abreißkalender zu kaufen. Warum eine Intim-OP sinnvoll sein kann, erklären zwei plastische Chirurgen.

Ein Raum voller Menschen, ein kleines Fotozimmer, Kaffee und Kuchen – wenn vulvaversity ihre Fotoshootings abhalten, geht es heimelig zu. Das muss auch so sein. Denn für einige Menschen ist es eine echte Überwindung, dorthin zu kommen und sich ablichten zu lassen, erzählt Indra Küster von vulvaversity.

Vor anderthalb Jahren entstand die Idee des Kollektivs junger Künstlerinnen und Künstler zwischen 23 und 30 Jahren: „Nachdem wir den Film #Female Pleasure im Kino gesehen hatten, haben wir festgestellt, wie wenig präsent die Vulva auch bei uns ist“, so die 30-Jährige. Deshalb entwickelten sie in einer Kneipe den Plan, das weibliche Geschlechtsteil raus aus dem oft sexualisierten Kontext und in ein möglichst wertfreies Licht zu rücken. Spaß solle es machen und ohne die Schwere der Wissenschaft oder der Historie sein. „Mal so richtig hinschauen“, lautet ihr Motto.

„Wir haben uns vorgestellt, die gesamte Diversität der Vulva zu zeigen, also im Alter, nach geschlechtsangleichenden Operationen, verschiedene Hautpigmentierungen, während der Schwangerschaft und nach der Entbindung“, erklärt Küster. Für 2021 sei eine Auflage mit 750, für 2022 dann mit 2000 Exemplaren geplant, erhältlich unter anderem auf ihrer Homepage. Dafür mussten sie sich 18.000 Euro von einer Privatperson leihen. „Das Geld müssen wir durch den Kalenderverkauf jetzt wieder reinkriegen.“ 27 Euro kostet ein Kalender.

Im Jahr 2018 wurden in Deutschland 8743 Eingriffe an der Vulva durchgeführt

Die Bilder, die Menschen mit Vulva als Vergleichswert haben, seien häufig pornografisch konnotiert und oft retuschiert. So sind sie konfrontiert mit einer „Idealvulva“: klein, versteckt, symmetrisch, hautfarben, nicht wellig. „Heterosexuelle Frauen haben oft noch keine andere Vulva gesehen. Selbst in der Sauna sieht man nicht wirklich was, weil Frauen die Beine überkreuzt halten und sich nicht einfach breitbeinig hinsetzen“, so Küster. Während der Shootings erzählten manche Frauen, dass sie dachten, sie wären krank, weil sich ihre Vulva während der Pubertät in Form und Farbe veränderte. Und mit dem Mythos der haarlosen, mädchenhaften Vulva will das Kollektiv nun aufräumen „und die Vulva aus ihrem Exil holen“.

Denn um diesem Bild zu entsprechen, legen sich jährlich viele Frauen unters Messer. Laut International Society of Aesthetic Plastic Surgery gab es 2018 allein in Deutschland 8743 Eingriffe an der Vulva, weltweit waren es 132.664 – das sind 1,3 Prozent aller vorgenommenen ästhetisch-plastischen Operationen. „Schönheitsoperationen in diesem Bereich sehe ich deshalb kritisch, weil dort doch niemand weiß, was normal ist“, ärgert sich Küster.

Dass es bei Intim-OPs jedoch selten um die ästhetische Korrektur hin zur Traum-Vulva gehe, erklären Marlene Uhl und Tilman Schottler, Freiburger Fachärzte für Plastische und Ästhetische Chirurgie gegenüber dem chilli. „Bei rund 80 Prozent der Eingriffe geht es darum, funktionelle Störungen zu verbessern, die Frauen durch vergrößerte Schamlippen haben. Sie sind in ihrem alltäglichen Leben eingeschränkt“, so Schottler.

Denn in der Regel sollte die Anatomie so sein, dass die äußeren die inneren Schamlippen überdecken. Die Grenzen seien hier natürlich fließend und die Variation groß, dennoch „ist es wichtig, dass die breite Masse erfährt, dass der Eingriff schnell und unkompliziert ist. Das sind Frauen, die sich sehr quälen, bis sie den Schritt zu uns gehen“, berichtet Uhl. Und im Verhältnis zu anderen Operationen sei dieser Eingriff zwar ein kleiner Teil, aber im vergangenen Jahr ist er dennoch deutlich gestiegen

Kalender-VulvaversityInfo

Kalenderverkauf: www.vulvaversity.de
Und ab 19.Oktober in der Jos Fritz Buchhandlung, Freiburg

 

 

 

 

Fotos: © Vulvaversity