Grenzen erweitern: Regisseur Kornél Mundruzcó im Gespräch Kultur | 08.11.2020 | Kornelia Stinn

Schauspieler auf Theaterbühne

Nach Produktionen für die Festspiele in Cannes und Salzburg hat der ungarische Star-Regisseur Kornél Mundruczó erstmals auch fürs Theater Freiburg inszeniert: eine Kombination aus Brecht/Weills Musiktheater „Die Sieben Todsünden“ und Kata Wébers Schauspiel „Motherland“.

Lust auf REGIO: Herr Mundruczó, wie erleben Sie die Atmosphäre in Freiburg?
Kornél Mundruczó: Freiburg ist anders als andere ländlich geprägte Städte in Deutschland. Es ist herzlicher, wärmer, schöner, älter und hat herausragende Architektur. Ich glaube, es ist der Schwarzwald, der die Atmosphäre ausmacht, die hier etwas Zeitloses ausstrahlt. Und es fühlt sich gut an, hier zu sein, so familiär. Ich war noch nie hier.

Lust auf REGIO: In Freiburg leben viele Geflüchtete. Sie haben das Thema Flucht immer wieder in Ihren Arbeiten aufgegriffen.
K. Mundruczó: Geflüchtete haben vor der Krise einen Hauptbereich meiner Arbeit und unsere Verbindung zu einem anderen Dasein ausgemacht. Die Menschen, die ihr Land verlassen, sind unterwegs und in Bedrängnis. Wenn wir hier in diesem Establishment von Europa nicht fähig sind, zu helfen, wer könnte das dann? Es hat mich immer schon beschäftigt, wie Minderheiten unsere gesellschaftlichen Mehrheiten widerspiegeln. Wie man die gesellschaftlichen Verhältnisse an der Situation von Minderheiten erkennen kann. Wenn die politische Diskussion abebbt, kann man vielleicht wieder über unseren Umgang mit dem Thema und den Menschen, die zu uns kommen, reden, ohne dass man dabei in eine politische Ecke gestellt wird. Dann würde das Thema auch wieder künstlerisch relevant für mich.

Kornél Mundruczós  Inszenierungen sind weltweit zu sehen.

Kornél Mundruczós Inszenierungen sind weltweit zu sehen.

Lust auf REGIO: In Ihrer Inszenierung der „Sieben Todsünden“ werden gesellschaftliche Auswirkungen deutlich. Was möchten Sie als zentrale Aussage vermitteln?
K. Mundruczó: Es geht um den Missbrauch einer Frau durch ihre Familie. Diese Anna I und Anna II, die ja im Grunde eine sind, werden losgeschickt, für die Familie Geld zu verdienen. Nach sieben Jahren können sie sich davon ein Haus bauen. In „Motherland“ fügten wir mit dem Missbrauch eines Kindes als Schönheitsidol eine zeitgemäße Ebene hinzu und machten den Grundgedanken transparent, dass eine Missbrauchserfahrung über Generationen weitergegeben wird. Da leuchten in einem kleinen Ausschnitt die Probleme unserer gesamten gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft auf.

Lust auf REGIO: Wo haben Sie in dieser Produktion die Möglichkeiten und wo die Grenzen des Musiktheaters erlebt?
K. Mundruczó: Ich liebe diesen Mix, gerade weil er Grenzen erweitert.

Lust auf REGIO: Welches Bild berührt Sie am meisten?
K. Mundruczó: Das Haus in Louisiana. Ich liebe seine Beweglichkeit und seine Veränderbarkeit. Es ist Symbol für das Zuhause, für die Mutter. Wenn dann die Charaktere plötzlich wie Gespenster aus den 30er-Jahren wiederauferstehen, wird dieses Haus zu einem Geisterhaus – wie in einem Thriller. Dieser Kontakt zwischen den beiden Zeitebenen und das Spiel mit dem Genre, das berührt mich.

Lust auf REGIO: Was war Ihre besondere Erfahrung mit dem Stück?
K. Mundruczó: Das ganz Besondere war für mich die Arbeit mit einem Kind. Es hat mich beeindruckt, wie intensiv es der zehnjährigen Freiburgerin Sinja Neumann gelungen ist, sich in das ihr unbekannte Stück hineinzubegeben.

Lust auf REGIO:Wo werden Sie in Zukunft Schwerpunkte setzen?
K. Mundruczó: Mein Hauptinteresse ist, Geschichten zu erzählen. Es geht mir dabei um einfache, klare, vielleicht auch provozierende Geschichten, die berühren.

Info

Steht im November wieder auf dem Spielplan des Theater Freiburg:
„Die sieben Todsünden & Motherland“ (27. und 28.11., jeweils 19.30 Uhr, Großes Haus).

Fotos: © Paul Leclaire, Sandor Fegyverneki