„Ich war wie elektrisiert“: Cultur.zeit-Interview mit dem Filmemacher Pepe Danquart Kultur | 13.12.2020 | Erika Weisser

Pepe Danquart Filmemacher Pepe Danquart bei den Dreharbeiten zum Film „Vor mir der Süden“ .

Im Jahr 1959 setzte sich Pier Paolo Pasolini in Ventimiglia in seinen Fiat Millecento und fuhr an der italienischen Küste entlang bis nach Triest. Knapp 8000 Kilometer legte der Autor und Filmemacher zurück, um eine Reportage für die Zeitschrift „Successo“ zu schreiben. Genau 60 Jahre später unternimmt der in Freiburg geborene Filmemacher Pepe Danquart die gleiche Reise, ebenfalls in einem Millecento. Und macht daraus einen Film: „Vor mir der Süden“ startet am 17. Dezember. Im Interview mit cultur.zeit-Redakteurin Erika Weisser spricht Danquart über sein cinematographisches Herz, Ausbeutungsorgien und Begegnungen, die Geschenke sind.

cultur.zeit: Wenn der Film am 17. Dezember auch in Freiburgs Kinos kommt, werden Sie persönlich dabei sein?

Danquart: Natürlich. Für mich ist das ja beinahe ein Heimspiel. Ich war ja nie so ganz weg, habe fast den ganzen Sommer in Freiburg verbracht. Ich bin oft dort, kann mir auch vorstellen, mich irgendwann wieder mehr in Richtung Südwesten zu orientieren. Soweit ich weiß, soll die Kinotour sogar in Freiburg starten. Ich freue mich schon auf die Gespräche.

cultur.zeit: Was werden Sie dem Publikum hier erzählen?

Danquart: Dass sie den Film anschauen und ihn gefälligst weiterempfehlen sollen (lacht). Dass ich ihn als eine Hommage an den Autor, Filmemacher und Philosophen Pier Paolo Pasolini verstehe, und dass er die heute sichtbaren Folgen des damals gerade aufkommenden Tourismus und der noch fast unmerklich beginnenden Globalisierung vorausgeahnt hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Film und sein Inhalt bei den Freiburgern auf besonderes Interesse stoßen. Man lebt dort ja ziemlich mediterran, die räumliche Nähe zu Italien ist spürbar, es gibt viele Italophile wie mich. Es gibt zudem eine lebendige und offene Kulturszene, für die Pasolini kein Fremdwort und Kultur nicht Konsum oder Wellness ist.

Fischer

Auf den Spuren Pasolinis begegnete Regisseur Pepe Danquart Fischern, die von ihrer Arbeit nicht leben können.

cultur.zeit: Hatte und hat Pasolini eine besondere Bedeutung für Ihren eigenen Werdegang?

Danquart: Als er ermordet wurde, war ich gerade 20, hatte eben angefangen, in Freiburg Kommunikationswissenschaften zu studieren. Ich hatte aber vorher schon erste Super-8-Filme gedreht und natürlich auch viele Filme gesehen. Und da hat mich Pasolini und besonders seine analytische Sichtweise auf die Widersprüche in der Gesellschaft von Anfang an fasziniert. Seine frühen neorealistischen Filme trafen mein politisches und cinematographisches Herz, waren stilbildend und wegweisend für einen jungen Menschen wie mich. Das ist auch später, als ich das Filmen selbst zu meinem Beruf machte, so geblieben. Während meines ganzen beruflichen Lebens begleitet er mich als Vorbild.

cultur.zeit: Was hat Sie an seiner Reportage denn so fasziniert, dass Sie sich nun auf diese Spurensuche begaben?

Danquart: Dass es dazu kam, hat auch wieder mit Freiburg zu tun. Ich kannte diese Reportage nämlich gar nicht. Und das wäre vielleicht so geblieben, wenn ich nicht vor ein paar Jahren im Schaufenster meiner sehr geliebten und vertrauten Jos-Fritz-Buchhandlung ein Buch mit dem rätselhaften Titel „Die lange Straße aus Sand“ gesehen hätte. Ich hatte nie davon gehört, da der Autor aber Pier Paolo Pasolini hieß, kaufte ich es unbesehen – und legte es daheim erst einmal auf den Stapel der zu lesenden Bücher. Als ich es nach Wochen zur Hand nahm, war ich wie elektrisiert: Vor mir breitete sich plötzlich die Reise rund um den italienischen Stiefel aus, die zu unternehmen ich hin und wieder vage in Erwägung gezogen hatte, doch nie angegangen war. Und nun lag sie vor mir, beschrieben in poe-tischen und prophetischen Worten und Zusammenhängen, die genauso aktuell waren wie vor fast 60 Jahren. Die textbegleitenden Bilder des berühmten Fotografen Paolo di Paolo taten ihr Übriges: Ich beschloss, mich endlich auf den Weg zu begeben und statt einer nur privaten Reise einen Reisefilm zu machen – über das heutige Italien, vor dem Hintergrund seiner Feststellungen und Visionen von damals. Und dabei unter den Gesichtspunkten auf das Land zu schauen, die ihm damals wichtig waren: Tourismus, Migration und Konsumismus. Mit Zwischenstopps an Orten, die in seiner Reportage und in seinem Leben von Bedeutung waren.

Schiffsfriedhof

Regisseur Pepe Danquart entdeckte unter anderem auch Schiffsfriedhöfe.

cultur.zeit: Ein Road-Movie?

Danquart: Es ist kein Road-Movie in dem Sinne, dass der Weg das Ziel oder die Reise selbst der Sinn und Zweck des Films ist. Und er soll auch nicht das Begehren nach einer Auszeit oder die Illusion wecken, dass man den Zwängen, denen man im Alltag unterworfen ist, entfliehen kann. Denn für die Menschen, die dort leben, wo wir hinreisen, herrschen Alltagszwänge, Ausbeutung, Entfremdung und extreme Verteilungsunterschiede ja weiter, werden durch den Massentourismus eher noch befördert. Davor sollte man die Augen nicht verschließen. Auf die Widersprüche, die Härten, die Zerstörung muss man in dem Dokumentarfilm schauen, sie sichtbar machen. Denn nicht überall ist die Ausbeutungsorgie so manifest wie auf Sizilien, wo afrikanische Migranten unter unsäglichen Bedingungen auf den Tomatenplantagen schuften. In unserem Film kommen sie zu Wort.

cultur.zeit: In dem Film kommen sehr viele und sehr unterschiedliche Menschen zu Wort. Wie habt ihr sie gefunden und wie kam es, dass sie sich beim Sprechen so geduldig filmen ließen?

Danquart: Das waren alles Zufallsbegegnungen, keine einzige war verabredet. Aber nach der Lektüre des Buches wusste ich ja, was wo geschehen war, und dann fährt man halt hin und sucht sich die Leute, die etwa von den Hafenarbeiterstreiks in Genua erzählen können. Ich hatte ja ein zweisprachiges Team dabei, das viel Erfahrung in wertschätzender Kommunikation mit Menschen hat. Wenn man den Leuten freundlich begegnet, sie ernst nimmt, dann verschließen sie sich in der Regel nicht. Und Italiener sind ja ohnehin offener für Gespräche. Und es gab ja ein Thema, zu dem die meisten etwas zu sagen hatten: Pasolini, der dort noch sehr lebendig ist.

cultur.zeit: Sie haben in Ostia einen alten Mann getroffen, der sichtlich bewegt eines seiner Gedichte rezitierte. Sie haben es in voller Länge übernommen. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Danquart: Ja, das war total emotional, das hat mich sehr berührt. Der Mann war schon als kleiner Junge mit Pasolini befreundet, hat ihm später sein ganzes Leben verschrieben. Er hat uns filmen sehen und kam dann von sich aus auf uns zu. Der lebt dort auf der Straße, hat einen Laden, in dem es auch Bücher gibt. Er kannte mindestens 30 Gedichte auswendig, erzählte uns viel von seiner inneren Beziehung zu Pasolini. Solche Begegnungen sind Geschenke, für die ich sehr dankbar bin.

cultur.zeit: Herr Danquart, vielen Dank für dieses Gespräch.