Kaffee und Zigaretten: Auf den Spuren Kleists Kultur | 23.05.2019 | Erika Weisser

Ferdinand von Schirachs neuer Roman „Kaffee und Zigaretten“ ist eine Sammlung von Geschichten über eine Jugend im Schwarzwald, das erste Besäufnis und ein ungeladenes Gewehr.

Der Junge hat keine glückliche Kindheit: Im Sommer sitzt er jeden Tag am Teich. Die Familie fährt nie in die Ferien. Der Höhepunkt im Jahr ist Weihnachten. Manchmal kommen Verwandte zu Besuch. Er muss sich verbeugen und ihnen Handkuss geben. Er will nicht dabei sein, wenn sie sich unterhalten. Er will ohnehin nie dabei sein, fühlt sich nirgendwo zugehörig: Als er „kurz vor seinem zehnten Geburtstag in ein Jesuiteninternat“ in einem dunklen, engen Schwarzwald­tal kommt, findet er keinen Anschluss, hat das Gefühl, dass ihm „etwas fehle, was er nicht benennen kann“. Und er ist 15 Jahre alt, als er sich kurz nach dem Tod des Vaters zum ersten Mal betrinkt, Kleists letzte Briefe liest und sein Leben wie dieser beenden will – doch das Gewehr ist nicht geladen.

Obwohl es zu ahnen ist, wird erst bei der Lektüre der übrigen 47 Erzählungen und Notizen klar, dass diese erste Geschichte in Ferdinand von Schirachs neuem Buch autobiografisch ist, dass der Erfolgsautor ein unglücklicher, depressiver, ja, autistischer Junge gewesen sein muss. Dennoch ziehen einen seine Überlegungen nicht herunter. Denn sie zeugen von tiefer Menschenkenntnis – und Selbsterkenntnis.

Am Mittwoch, 25. Mai, 19.30 Uhr ist der Autor zur Lesung im Theater Freiburg