Ute Bales widmet ihr neues Buch dem Freiburger Sinto Landolo Werst Kultur | 30.09.2018 | Erika Weisser

Die Freiburger Autorin Ute Bales hat gerade ihren neuen Roman fertig geschrieben: „Bitten der Vögel im Winter“ heißt er und erscheint im Oktober; für das Manuskript erhielt sie im Juni den Martha-Saalfeld-Förderpreis des Landes Rheinland-Pfalz.

Das Buch beleuchtet ein tiefdunkles Kapitel der deutschen Geschichte. Es ist die Geschichte von Eva Justin, die es als Krankenschwester und Anhängerin der NS-Rassenideologie bis zur Stellvertreterin von Robert Ritter brachte, der die 1936 gegründete Rassenhygienische Forschungsstelle im Reichsgesundheitsamt in Berlin leitete. Sie lebte in einem Abhängigkeitsverhältnis zu diesem überzeugten Nazi, beteiligte sich bereitwillig an seinen zweifelhaften Forschungen im Rahmen großangelegter Aktionen zur „Bekämpfung der Zigeunerplage“.

1942 führte Justin für ihre vom Freiburger Rassenhygieniker Eugen Fischer geförderte Anthropologie-Dissertation in einem Kinderheim pseudowissenschaftliche Untersuchungen an 40 Sinti-Kindern durch – mit dem Ziel, zu beweisen, dass es sich dabei um „minderwertige und nicht erziehbare Untermenschen“ handle, die an der Fortpflanzung zu hindern seien. Durch ihre „Gutachten“ und ihre „Forschungen“ in verschiedenen Konzentrationslagern wurde sie mitverantwortlich für die Deportation, Zwangssterilisation und Ermordung Tausender Sinti und Roma während der Nazizeit.

Akribisch und aus der Sicht dieser Täterin zeichnet Ute Bales Eva Justins Werdegang nach. Sie schildert deren von bedingungslosem Gehorsam und Autoritätsglauben bestimmte Kindheit und Jugend, beschreibt ihren zwanghaften Drang zum Sortieren und Aussortieren, ihren Wunsch, bedeutender Teil eines bedeutenden homogenen Ganzen zu sein. Und zeigt exemplarisch die damit verbundene Verführbarkeit solcherart geprägter Menschen gegenüber völkischen Überlegenheitsideologien, die dabei sind, Mainstream zu werden.

Bales schreibt aber auch aus der Sicht der Kinder, die Justin in der katholischen St. Josefspflege in Mulfingen wochenlang beobachtet, mit einem Tasterzirkel vermisst, in Geschicklichkeitsspiele verwickelt – und „immer alles aufschreibt“, wie einige Probanden besorgt und misstrauisch feststellen. Angst haben sie vor ihr, vor ihrer Strenge, ihrer Kälte; wenn sie erscheint, drängen sie sich zusammen „wie Vögel im Winter“, hoffen auf Nachsicht, auf Überleben, auf Nachricht von den Eltern. Die sie nie bekommen.

Bales, die vor 34 Jahren aus der Eifel zum Studium nach Freiburg kam und „hier hängen geblieben“ ist, hat das Buch, für das sie zwei Jahre lang recherchiert und gearbeitet hat, einem Mann gewidmet, den sie zu Studienzeiten während ihrer Arbeit in verschiedenen Freiburger Kneipen kennenlernte: Landolo Werst, der von allen „Zigeuner-Schorsch“ genannt wurde. Und den sie „leider nie nach seiner Kindheit gefragt“ hat, die in die Zeit des Porajmos fiel, des Genozids an den europäischen Sinti und Roma. „Rassen gibt es nicht“, schreibt sie zum Geleit. „Aber es gibt Rassismus.“

Foto: © Michael Spiegelhalter

Bitten der Vögel im Winter
von Ute Bales
Verlag: Rhein-Mosel-Verlag, 2018,
410 Seiten, Hardcover
Preis: 24,80 Euro
Erscheint im Oktober