Verwüstete Leben: Bilder und Geschichten von Menschen hinter Gefängnismauern Kultur | 20.09.2020 | Erika Weisser

Strafraum Ausstellung in Freiburg

Mit der Justizvollzugsanstalt (JVA) Freiburg und seinen regelmäßig mehr als 700 Insassen befasst sich das Buch „Strafraum. Absitzen in Freiburg“, das beim Herder-Verlag zur Eröffnung der gleichnamigen, noch bis zum März 2021 gezeigten Foto-Ausstellung an den Außenmauern des Gefängnisses erschienen ist.

Doch der von Reinhild Dettmer-Finke, Thomas Hauser und Britt Schilling herausgegebene Band ist kein Ausstellungskatalog: Die Themen kreisen um Täter und Opfer, um Bewährung und Rückfall, um Gewalt und Einsamkeit, um Sinn und Unsinn von Strafe, um Wiedereingliederung und Sicherungsverwahrung, um Arbeit und Drogenkonsum, um Gefängnisarchitektur und Knastalltag. Und noch viel mehr.

„Ich will hier raus“, schreibt Michael Philippi im April 2018 nach einer „zum Glück nicht eskalierten Auseinandersetzung zwischen zwei Häftlingen“ in sein Notizbuch. Um gleich und spürbar erleichtert „… und ich darf ja auch“ hinzuzufügen. Philippi ist einer von zwei Vollzeit- Anstaltspfarrern; als evangelischer Seelsorger steht er den Gefangenen in ihren Lebenskrisen und -brüchen zur Seite. Und sitzt dabei nach eigener Aussage „oft dazwischen“: zwischen den „Abgründen menschlichen Seins und Scheiterns“ und dem „Dennoch der Vergebung“.

Aus seiner Feder stammt der zusammen mit Thomas Hauser recherchierte Beitrag über die Geschichte der im Volksmund als „Café Fünfeck“ bekannten Strafanstalt. Philippi ist außerdem der erste Anstoß für das Zustandekommen dieses Buches – und der Ausstellung – zu verdanken: Seit vier Jahren nimmt die Fotografin Britt Schilling als ehrenamtliche Mitarbeiterin an seinen wöchentlichen Gesprächskreisen teil. Gemeinsam entwickelten sie ein Tagebuch-Projekt, das schließlich in die inzwischen schon viel beachtete, durchaus großartige Bilderserie mündete.

Natürlich sind im Buch auch einige Seiten aus den Tagebüchern der am Projekt beteiligten JVA-Insassen abgedruckt. Auf einer ist etwa zu lesen, dass der Verfasser „mega happy“ ist, weil ihm das Jugendamt Informationen über die gute Schulentwicklung seiner Kinder geschickt hat.

Außerdem kommt ein sogar namentlich genannter, seit 23 Jahren einsitzender Sicherungsverwahrter zu Wort – die JVA Freiburg ist für ganz Baden-Württemberg die zentrale Sicherungsverwahranstalt für männliche Täter. In einem Beitrag über „Verwüstete Leben“ beschreibt er die Hoffnungslosigkeit derer, die nach dem Gewohnheitsverbrechergesetz von 1933 zu Sicherungsverwahrung verurteilt wurden – nach Verbüßen ihrer „tat- und schuldangemessenen“ Freiheitsstrafe. Sie, schreibt er, „haben zum einen die Leben anderer verwüstet, zum anderen sind sie selbst oftmals verwüstete Menschen“, deren Heimat eine 14 Quadratmeter große Zelle ist – „in nicht wenigen Fällen bis zum Tod“.

Bedenkenswerte Gedanken, die auch der Bewährungshelfer Peter Asprion, der Strafrechtler Thomas Galli, der Rechtsphilosoph Martin Hochhuth und der ehemalige Anstaltsleiter Thomas Rösch aufgreifen. Mit unterschiedlichen Antworten. Denen der Leser seine eigenen hinzufügen kann.

Buchcover Strafraum

Strafraum. Absitzen in Freiburg
von Reinhild Dettmer-Finke, Thomas Hauser, Britt Schilling (Hrsg.)
Verlag: Herder, 2020
112 Seiten,
kartoniert
Preis: 15 Euro

 

 

Foto: ©  Britt Schilling