Wie Faschismus Realität herstellt: Klaus Theweleits „Männerphantasien“ wird neu aufgelegt Kultur | 03.07.2019 | Erika Weisser

Klaus-Theweleit

Demnächst erscheint Klaus Theweleits 1978 veröffentlichtes zweibändiges Werk „Männerphantasien“ in Neuauflage. Es gilt als Klassiker der Gewaltforschung. Der „Spiegel“ bezeichnete es damals als „die vielleicht aufregendste deutschsprachige Publikation des Jahres“.

Der Freiburger Kulturhistoriker entwickelt darin eine Faschismustheorie, die an den Körperstrukturen ansetzt und ergründet, „warum es (vorwiegend männliche) Körper gibt, die nicht leben können, ohne irgendjemand oder irgendwas zum Verschwinden zu bringen“. Er beschreibt, worin dieser Zwang besteht, wie er entsteht und „wie er diese Körper dann beherrscht“.

Er wisse, erzählt Theweleit beim Gespräch in seinem Arbeitszimmer, dass er „den Leserinnen und Lesern einiges abverlangt“. Denn, so schreibt er auch im Nachwort zur Neuauflage, „wer das Buch mit Gewinn lesen will“, müsse sich von einigen „in der öffentlichen Rede vorherrschenden Ansichten vom Menschen lösen“ und die „psychoanalytisch begründete Figur des Nicht-zu-Ende-Geborenen zulassen“.

Ob er das Buch heute wieder so schreiben würde? „Natürlich“, sagt Theweleit und lacht. An den durch Fakten fundierten Thesen habe sich ja nichts geändert. Er würde heute lediglich Erkenntnisse aus Raul Hilbergs „gründlich recherchierter“ Studie zur „Vernichtung der europäischen Juden“ einfließen lassen, die er damals noch nicht kannte.

Seine eigenen Erkenntnisse seien inzwischen durch neurologische Forschungen bestätigt worden, sagt er mit sichtlicher Freude und verweist etwa auf Studien des Neurowissenschaftlers António Da- másio, der nachgewiesen habe, dass „die Körperstrukturen die Denkstrukturen beeinflussen“, also der Körper und dessen Erfahrungen das Denken und somit auch das Handeln eines Menschen bestimmen.

Ein misshandelter und „mit Ängsten angefüllter Körper“, erklärt Theweleit, könne keine deutliche Abgrenzung zu seiner Umgebung entwickeln und fühle sich deshalb von außen bedroht. Deshalb baue er sich „durch militärischen Drill oder ersatzweise übertriebenes Training in der Muckibude“ einen Panzer auf, der jedoch „sehr brüchig“ sei.

Diese wahrgenommene mangelnde Ganzheit des Körpers werde mit einer durchlässigen Landesgrenze gleichgesetzt, und die sie passierenden „Fremden“ würden „als Invasion des eigenen Körpers“ empfunden, als „Flut“, die diesen auflöse und deshalb „unbedingt aus dem Weg geräumt werden“ müsse.

Nach Theweleits Überzeugung handeln und töten Männer wie der Utøya-Attentäter Anders Breivik, der Christchurch-Mörder Brenton Tarrant, IS-Kämpfer oder SS-Mitglieder „unabhängig von Religion oder Welt­- anschauung“ nach dem immer gleichen „faschistischen Muster“: Sie vernichteten, um ihre körperliche Kohärenz aufrechtzu- erhalten, alles „Andersartige“ im angeblichen Auftrag einer „übergeordneten Macht“, die ihre Taten legitimiere. „Faschismus“, sagt Theweleit, „ist keine Ideologie“. Sondern „eine zerstörerische Art und Weise, Realität herzustellen“.

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Männerphantasien
von Klaus Theweleit
Mit einem Nachwort zur Neuauflage
Verlag: Matthes & Seitz, 2019
1200 Seiten, Klappenbroschur
Preis: 28 Euro

Foto: © Privat