Kunst gegen Vergessen: Hochschulprojekt will mit Gemälden Demenzkranke ansprechen STADTGEPLAUDER | 30.06.2017

Die Katholische Hochschule Freiburg hat ein Forschungsprojekt für Menschen mit Demenz gestartet. Einmal im Monat können sie und ihre Angehörigen im Kunstraum Alexander Bürkle ein Werk betrachten und ihren Assoziationen dabei freien Lauf lassen. Lassen sich demente Menschen mit abstrakter Kunst erreichen?

Ein paar Sekunden lang herrscht vollkommene Stille. Vier Demenzkranke, ihre Begleiter und elf Studenten der Katholischen Hochschule schauen gebannt auf die buntbemalten Blätter an der Wand. „Fertig!“, kräht eine ältere Dame plötzlich. Kathrin Gut-Hackmann, Kunstvermittlerin im Kunstraum Alexander Bürkle, lacht: „Und, wie gefällt es ihnen?“ „Sehr schön“, sagt die Dame und zupft an ihrem geblümten Rock. „Könnte man als Kalender nehmen.“

Nach und nach melden sich auch die anderen zu Wort. „Es steigert sich von oben nach unten“, bemerkt eine ältere Dame, deren Krankheit noch im Anfangsstadium steckt. „Gewellt“, wirft ein Herr mit Schirmmütze ein, bei dem das Vergessen schon weiter fortgeschritten ist. Der aufgeweckten Dame mit dem Blumenrock wird es zu ruhig. „Eins, zwei, drei, vier Eckstein, alles muss versteckt sein“, fängt sie lauthals an zu singen. „Man könnte es anhören“, stimmt ihr der Schirmmützenträger mit Blick auf das Kunstwerk zu.

Kann man demenzkranke Menschen mit Kunst erreichen? Kann man sie damit mehr am gesellschaftlichen Leben teilhaben lassen? Und ändert sich dadurch vielleicht sogar die Beziehung zwischen dem Erkrankten und seiner Begleitperson? Diesen Fragen gehen elf Heilpädagogik-Studierende der Katholischen Hochschule in diesem und nächsten Semester nach.

Die Idee dazu stammt ursprünglich aus dem New Yorker Museum of Modern Art (MoMa). Mittlerweile haben mehrere Museen in Europa die Kunstvermittlung für Demenzkranke aufgegriffen. Die Freiburger Studenten sind dabei die ersten, die es mit abstrakter Kunst versuchen. „Das Schöne daran ist, dass man sich nicht vertun kann“, sagt Professorin Monika Wigger, die das Projekt zusammen mit ihrer Kollegin Henriette Schwarz und Kathrin Gut-Hackmann leitet. Man muss nicht erkennen, was abgebildet ist. Man muss sich nicht erinnern, ob man einen Monet oder einen Picasso vor sich hat. „Ungegenständliche Kunst spricht direkt die Emotionen an: Was löst dieses Bild in mir aus?“, erläutert sie.

Zuerst betrachten, dann selbst malen: Im Kunstraum Alexander Bürkle will man Demenzkranke mit Kunst erreichen.

Auch für die Angehörigen könne es ein schönes Erlebnis sein. Etwa, wenn Bemerkungen fallen, die man dem Demenz-Patienten nicht mehr zugetraut hätte. „Man wird ein Stück weit aus dem Alltag herausgeholt“, sagt einer der Teilnehmer, der mit seinem dementen Schwiegervater, dem Schirmmützenträger, bereits zum zweiten Mal dabei ist. Die beiden Männer sitzen nebeneinander und malen. Denn nach der Betrachtung können die Besucher auch selbst aktiv werden.

Bis zum nächsten Mal werden die Studierenden das heute Gesagte zu einer Geschichte zusammenfassen. Das Ergebnis kann durchaus poetisch sein, wie der Text zum ersten Termin zeigt: „Wahrscheinlich fliegt sie! / Das habe ich jetzt nicht direkt gedacht – kann man das? / Länge ist Höhe, nur in ganz dünn, klein, / weder groß noch klein, eher groß. / Der Umgebung angepasst.“

Hier wird nicht ausgewählt nach richtig oder falsch, sinnvoll oder blödelnd. Schließlich soll der Vormittag im Kunstraum vor allem eins: Spaß machen. Und dazu passt auch der Titel, den sich die dementen Kunstliebhaber heute ausgedacht haben: „Schnee – einfach um Blödsinn rauszulassen.“

Text und Fotos: Tanja Bruckert