Warum Energiesparhäuser vor allem unter Laborbedingungen funktionieren STADTGEPLAUDER | 06.10.2016

Mit der Umweltbilanz von Energiesparhäusern ist es bislang so eine Sache. Die für ein Haus errechneten Energiewerte funktionieren vor allem unter Laborbedingungen. Häuser sind oft so konzipiert, dass sie sich selbst steuern, Temperatur und Frischluftzufuhr regulieren und den Verbrauch drosseln. Wenn, ja wenn da nicht der häufigste Störfaktor eines Hauses wäre: der Mensch.

„Eigentlich sollte man bei einem Passivhaus die Fenster gar nicht aufmachen“, sagt Tilmann Hesse, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Öko-Institut in Freiburg. Ein Team von Forschern um Hesse und Veit Bürger hat erneut errechnet, dass klimaneutrale Sanierungen von Altbauten möglich seien und der benötigte Primärenergiebedarf bis 2050 so um bis zu 80 Prozent sinken kann. Allerdings, und das verstehen die Öko-Forscher als wichtigste Botschaft ihrer Untersuchung, nur wenn die Politik mitmacht. Heißt auf Deutsch: Bauherren brauchen Geld vom Staat, denn sonst hätten sie kaum Lust, zusätzliches Geld in Sanierungen zu stecken.

Bugginger 50: Das weltweit einzige, sanierte Passiv-Hochhaus made in Freiburg, von der Stadtbau. Errechnet wurde eine Heizenergieersparnis von 80 Prozent gegenüber dem unsanierten Zustand. Ob’s wirklich so ist, weiß man nicht.

Dass Wissenschaft und Praxis zwei Paar Schuhe sind, zeigt ein Beispiel aus Hessen. Die Wohnbaugesellschaft GWW hat dort vier identische Mehrfamilienhäuser gebaut – davon zwei nach der EnEV 2009 und zwei als Passivhaus. Ende 2013 waren die Häuser bezugsfertig, nun zieht die GWW Bilanz. Das Ergebnis wird viele Planer und Bauherren zum Nachdenken bringen: Zwar schneiden die Passivhäuser bei der Heizenergie besser ab. Doch jeder Vorteil wird durch den hohen Stromverbrauch der Passivhaus-Technik gnadenlos aufgefressen. Während die beiden EnEV-Häuser auf einen Verbrauch von knapp 5000 Kilowattstunden (kWh) im Jahr kommen, benötigen die Passivhäuser fast das Vierfache – 18.900 kWh. „Durch diese eklatante Differenz wird der Vorteil der Passivhäuser beim Heizenergieverbrauch nahezu nivelliert“, sagt Thomas Keller, Bereichsleiter Bau & Technik bei der GWW. Zudem gibt es auch Menschen, die in den EnEV-Häusern wohnten und so sparsam heizten, dass sie quasi Passivhausstandard erfüllten.

„Vielleicht müssen wir erst lernen, in einem Passivhaus zu leben“, sagt Forscher Hesse. Doch auch diese logisch klingende Vermutung wird vom GWW-Praxisbericht zerschmettert. Denn nachdem das Unternehmen den Mietern einen ersten Verbrauchs-Zwischenbericht vorgelegt hatte, gingen zwar die Heizkosten im Passivhaus weiter nach unten. „Gleichzeitig erhöhte sich jedoch die Laufleistung der Lüftungsanlage, um den Luftaustausch zu gewährleisten“, so Technikchef Keller weiter. Die Folge: Nach dem ersten Zwischenfazit und der Rückmeldung an die Bewohner sind die Stromkosten dort noch mal gestiegen.

GWW-Geschäftsführer Hermann Kremer bilanziert: „Den höheren Baukosten, die für ein Passivhaus aufgewendet werden müssen, stehen bislang kaum messbare Einsparungen bei den Betriebskosten gegenüber.“ Im Bau waren die Passivhäuser um 250 Euro je Quadratmeter teurer als die beiden EnEV-Häuser. Das entspricht einem Plus von 13,5 Prozent. Entsprechend ist es auch deutlich teurer, in diesen Häusern zu leben – völlig unabhängig vom Verbrauch. Die Miete liegt – je nach Wohnungsgröße – zwischen 99 Cent und 1,59 Euro pro Quadratmeter über den Vergleichshäusern. Und das sind in der Spitze sogar 16 Prozent mehr.

„Wir haben das mit Interesse verfolgt“, sagt René Derjung von der Freiburger Stadtbau GmbH (FSB). Die städtische Wohnbaugesellschaft hat selbst noch keine Studien dieser Art erstellt. „Sowas ist sehr zeit- und kostenintensiv“, sagt der Pressesprecher. Doch auch in den FSB-Häusern seien nutzerbedingt große Unterschiede in den Verbrauchswerten festzustellen. Klar sei: Niedrigenergiehäuser funktionieren nur, wenn der Mensch mitmacht. „Das wird sehr vom Nutzerverhalten beeinflusst“, bestätigt Derjung.

Die FSB versucht, dem entgegenzu- wirken, klärt mit Broschüren auf und schickt ihre sogenannten Sparfüchse in die Wohnungen. Das sind zwei Mitarbeiterinnen, die im Haus erklären, wie man konkret die Stromkosten senken kann – und was sie nach oben treibt. „Wir stellen immer wieder fest, dass Bewohner heizen, obwohl es gar nicht notwendig wäre“, sagt Derjung.

Das sanierte Passiv-Hochhaus

Auch zum Thema Dämmstoffe hagelt es immer wieder Kritik. Es gibt ganze Internetportale, die sich – je nach Neigung – darüber auslassen, warum es absolut sinnvoll oder völliger Quatsch sei, ein Haus gut zu dämmen. Eine häufig transportierte Halbwahrheit ist etwa, dass gut gedämmte Häuser und Wohnungen so luftdicht seien, dass sie irgendwann zu schimmeln beginnen. „Ein Haus wird nicht durch die Dämmung luftdicht, sondern etwa durch den sorgfältigen Einbau von Fenstern mit guten Dichtungen“, antwortet der Physiker Rüdiger Paschotta. Gleichzeitig räumt er ein: Richtig zu lüften sei immer wichtig. „Am meisten jedoch im schlecht gedämmten Altbau.“

Beim Passivhaus in Wiesbaden sollte diese Lüftung nicht über offene Fenster erfolgen, sondern durch die voll automatische, mit Strom angetriebene Lüftungsanlage. Das gute alte Stoß- oder Querlüften, das viele noch von ihrer Oma gelernt haben, ist aber als Verhaltensmuster noch in den Köpfen drin. Der Freiburger Öko-Forscher Hesse wirbt um Geduld: „Das ist eine höhere Technologie. Vielleicht müssen die Menschen sie erst noch lernen.“ Bis dahin können Stromsparhäuser ganz schön teuer werden.

Das sagt auch Günter Schwinn. Er leitet bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg die Abteilung Bauen, Wohnen, Energie. Sein nüchternes Fazit: „Vieles, was unter dem Deckmantel der Ökologie beim Bauen gemacht wird, macht eigentlich keinen Sinn.“

Text: Philipp Peters / Fotos: © Markus Löffelhardt