Freiburg schlägt New York: Der Verein Mehrklang macht Neue Musik populär 4Musik | 25.05.2023 | Pascal Lienhard
Stücke zeitgenössischer Komponist·innen stehen nicht im Ruf, hip zu sein. Oft werden sie als kompliziert, verwirrend oder elitär beschrieben. Solchen Klischees sagt der Freiburger Verein Mehrklang den Kampf an. Mit innovativen Konzepten will das Netzwerk möglichst viele Menschen mit Neuer Musik erreichen. Dieses Jahr etwa mit einem veganen Konzert in der Mensa.
Neue Musik: Sind damit die Singles von Apache207 und Udo Lindenberg oder das neue Album von Taylor Swift gemeint? Weit gefehlt, Stücke aus Rock oder Pop fallen nicht in die Kategorie. Stattdessen geht es in der Regel um zeitgenössische Werke, die im Alltagsgebrauch der Kategorie „Klassik“ zugeordnet werden.
In Freiburg gibt es dafür eine rege Szene. „Gemessen an der Größe der Stadt passiert hier mehr als in München, Tokio oder New York“, sagt Beate Rieker. Sie ist Geschäftsführerin von Mehrklang, dem Freiburger Netzwerk für Neue Musik. Nicht nur die vielen Ensembles und Institutionen wie die Musikhochschule oder das Experimentalstudio des SWR machten die Breisgaumetropole zur Musikstadt. „Auch das Publikum ist sehr neugierig und kommt regelmäßig zu Veranstaltungen“, berichtet Rieker.
Seit der Gründung vor 15 Jahren ist es das Ziel von Mehrklang, nicht nur das eingefleischte Publikum zu erreichen. Rieker beobachtet, dass sich viele Menschen nicht auf Konzerte der Neuen Musik trauen, vielleicht, weil sie von den ungewohnten Klängen abgeschreckt seien. Hier setze Mehrklang als „Manufaktur für besondere und innovative Veranstaltungsformate“ an.
Bereits siebenmal hat der Verein den Klangparcours am Waldsee organisiert. Dort wird die Natur mit Klangstationen zum Konzersaal, Musiker·innen spielen etwa auf Tretbooten oder im Pavillon. Schon zur ersten Auflage kamen 2015 mehr als 1000 Gäste.
Fast 800 Jahre alte Glocke als prominente Gastmusikerin
Eines der Highlights des Vereins war vergangenen Herbst das Glockenkonzert im Herzen Freiburgs. Satte 765 Jahre hat die Hosanna-Glocke des Freiburger Münsters auf dem Buckel. Komponist Bernhard Wulff nutzte den Klang der Glocke als Grundakkord für ein Konzert mit 50 Musiker·innen. „Das war ein magischer Augenblick“, erinnert sich Rieker. „Der ganze Münsterplatz war voller Menschen, es kamen Tausende Zuhörer·innen.“ Die Klänge, denen das Publikum damals andächtig lauschte, werden wohl nie wieder zu hören sein: Es gibt weder einen Mitschnitt noch werden Noten verkauft.
Im Jubiläumsjahr warten neue Highlights. Dazu zählen ein Sonnenaufgangskonzert auf der Dreisamwiese an der Kartäuserstraße (18. Juni), Gute-Nacht-Lieder am Siegesdenkmal auf dem Europaplatz (23. Juni) und Klangtouren durch die Keller der Brauerei Ganter (1. Juli).
Besonders spannend verspricht am 7. Oktober ein veganes Konzert in der Mensa Rempartstraße zu werden. „Es soll ein humorvolles Experiment mit überraschender Musik werden“, kündigt Rieker an. Unter Einbindung des Publikums soll erkundet werden, wie ein klassisches Konzert ohne tierische Produkte aussehen kann: Gibt es Alternativen zum Pferdehaar im Geigenbogen? Wie klingen Instrumente ohne Tierprodukte, zum Beispiel ein Kürbis? Um nicht nur die Ohren anzusprechen, wird dazu eine vegane Suppe gereicht. Vegane Konzerte, Musiker·innen im Tretboot – das ist eigentlich doch recht hip.
Fotos: © Mehrklang