Die hölzernen Lotterweiber von Dorothée Rothbrust Kultur | 26.06.2019 | Heidi Knoblich

Lotterweiber

Dorothée Rothbrusts lebensgroße, feingliedrige Frauenbilder sind eigenwillig. Stilvoll gekleidet und auf ihr Äußeres bedacht blicken sie mal motzig, mal verträumt auf ihr Gegenüber und nehmen Stellung zur Welt.

„Lotterweiber“, sagt ihre in Basel lebende Schöpferin, „greifen die in meiner Heimat Eifel verwurzelte Bezeichnung für gestandene, unangepasste Frauen auf. Frauen, die wissen, wo sie stehen und ihren eigenen Weg suchen.“ Frauen wie ihre Tante, die in den 1960er-Jahren als Mutter von drei Kindern jung zur Witwe wurde, sich gegen eine Wiederheirat entschied und sich selbstständig mit ihren Kindern durchkämpfte. „Das hat mich geprägt.“ Seitdem bestimmt das Thema „Menschsein“ Rothbrusts Arbeit.

Die meist gertenschlanken Holzskulpturen und zimmerhohen Bildfahnen auf Japanpapier erwachsen nicht aus den eigenen Vorstellungen der studierten Malerin und Modedesignerin. „Mein Professor sagte mir: Wenn du etwas machst, das schon in deinem Kopf besteht oder irgendwo sonst, musst du es nicht noch einmal machen, das ist tot.“ Lebendigkeit entsteht für sie im Wechselspiel von Ich und Du. Oft erwachsen ihre Frauenbilder aus einer Begegnung. „Wenn ich durch die Stadt gehe und ich auf Augen treffe, die mich faszinieren“, erzählt sie, „nehme ich sie in Gedanken mit ins Atelier und beginne sofort, sie auf dem Holz oder auf dem Papier festzuhalten. Diese Augen sagen mir, wo sie hinwollen.“

„Manchmal gehen wir uns auf die Nerven“

Es sei dann wie ein Dialog, zu dem sie natürlich auch etwas beitragen müsse: „Ich muss ihnen Fragen stellen, sonst bleiben sie stumm. Die Lotterweiber müssen mir aber auch etwas bieten.“ Ihr Entstehen ist ein Gespräch unter Freundinnen, die von der Künstlerin die Farbgebung und selbst etliche Übermalungen fordern. „Sie müssen sich gegen mich durchsetzen. Das tun sie immer sehr schnell. Sie erzählen mir, was sie gut finden, auch bei der Kleidung.“ Und so hört sie genau hin und spürt dem nach, was da gerade entstehen will. „Manchmal gehen wir uns auch auf die Nerven, meine Frauen und ich. Manchmal steht auch eine zwei Jahre da, weil noch etwas fehlt. Die wissen dann selber, wann sie fertig sind.“

Dorothee-Rothbrust

Dorothée Rothbrusts Lotterweiber sagen, wo es langgeht.

Dem Wesenskern eines Menschen auf der Spur zu sein und diesen umzusetzen, fasziniert Rothbrust immer wieder aufs Neue. Sie findet ihn auch in der Sprache der Füße. „Wie Augen können auch Füße nicht lügen. Stehen Füße nach innen, hat das eine andere Aussage, als wenn sie nach außen gerichtet sind. Darum gestalte ich die Füße meiner Skulpturen immer beweglich.“

Es ist das wilde, raue Holz der Akazie, aus der sie die Eigenart ihrer Figuren herausarbeitet – die Körpersprache, die Haltung des Kopfes und die sparsame Gestik. „Ich mag den Widerstand, den ich bei der Arbeit mit der Kettensäge erlebe. Der Stamm hat oft Risse und arbeitet selbst nach Jahren noch“, erklärt Rothbrust. „Das ist wie bei uns Menschen, die wir nicht im Gewesenen steckenbleiben, sondern uns immer weiterentwickeln.“

Die Gesichter ihrer Lotterweiber glättet sie mit der Schleifmaschine. „Sonst bleibt eher alles roh“, erzählt sie, „gerade so, dass es immer noch die Möglichkeit hat, etwas anderes zu werden.“ Ihre Lotterweiber werden bei ihr selbstständig und suchen sich den Menschen aus, mit dem sie weitergehen. „Dann bekommen sie von den Menschen oft auch Namen.“
Ihre vielfarbige Oberfläche, ihre Gesichter, ihre mal kessen, mal eleganten Kleider erhalten sie mittels Temperamalerei. Mit dieser altmeisterlichen, häufig in der Renaissance angewandten Misch-
technik verleiht sie ihren Frauenbildern auf Holz und Japanpapier die besondere Leuchtkraft. Die Farben stellt Rothbrust aus fein gemahlenen Edelsteinen und Halbedelsteinen, Eidotter, Öl und dem Bindemittel Gesso selbst her.

Auf ihren Bildfahnen auf durchscheinendem Japanpapier zeigen sich ihre Lotterweiber von zwei Seiten und geben der Persönlichkeit Transparenz. „Auf der einen, der verletzbaren Seite“, so Rothbrust, „sind die Linien zu sehen, mit denen ich zunächst mit Kohle nach der Körperhaltung, nach dem Inneren des Menschen gesucht habe. Die andere Seite, die geglättete, die vollkommen ausgestaltete, zeigt, wie wir nach außen wirken möchten.“ Auch hier ist der Künstlerin Beweglichkeit wichtig: Werden die Bilder in Plexiglas gerahmt, können sie auf die jeweils bevorzugte Seite gedreht werden.

Zwei ihrer Lotterweiber stehen derzeit noch nackt und eng vereint in ihrem Atelier im Kulturzentrum Kesselhaus in Weil am Rhein. „Es fällt mir schwer, die beiden auseinanderzubringen“, gesteht sie. Denn Rothbrust lässt ihre Figuren nicht nur gerne mit dem Betrachter, sondern auch untereinander ins Gespräch kommen. Gegen willkürliche Nähe sperren sie sich. Es ist dann auch erst der gebührende Abstand, mit dem sie ihre Verwundbarkeit erahnen lassen, die sich durch Risse, Rillen und raue Stellen auf der hölzernen Oberfläche offenbart und an die eigene Verletzlichkeit, das Alter und die Vergänglichkeit mahnt.

Info

Dorothée Rothbrust
Kulturzentrum Kesselhaus e. V. / Atelier 12
Am Kesselhaus 12
D-79576 Weil am Rhein
Tel.: 0041/61 6 01 20 74
doroth@kunst-werke.ch
www.kunst-werke.ch

Fotos: © Heidi Knoblich