Chronik eines absehbaren Tods: „Saison der Wirbelstürme“ Kultur | 11.08.2019 | Erika Weisser

Saisonder Wirbelstuerme

Das Gruseln packt einen schon auf der ersten Seite: Da durchqueren fünf Kinder das von Geiern überflogene Dickicht eines Zuckerrohrfelds und stoßen im Uferschilf des Bewässerungskanals auf eine Tote. Obwohl ihr Gesicht halb verwest und zu einer grausig grinsenden Grimasse entstellt ist, erkennen sie die Frau sofort.

Entsetzt sehen sie, dass es sich um die Dorfhexe von La Matosa handelt. Um die Bruja, wie die abergläubischen Bewohner dieses gottverlassenen Orts in der mexikanischen Provinz die eigentümliche Frau nennen. Die für sie eine Ausgeburt des Teufels ist – und nicht etwa das Produkt einer brutalen Massenvergewaltigung ihrer Mutter, der gleichfalls unheimliche Zauber- und Anziehungskräfte nachgesagt wurden.

Die in wüster Sprache und ununterbrochenem Redefluss wiedergegebenen Beobachtungen einiger Nachbarn erschließen nach und nach die Vorgeschichte dieses Mords. Die Geschichte der namenlosen Bruja, deren gewaltsames Schicksal gleichnishaft ist für die in den durch Ausbeutung verelendeten und verrohten Gesellschaften viel zu alltäglichen Übergriffe auf Frauen.

Eine schwer zu ertragende Chronik, deren Autorin und Übersetzerin soeben mit dem Internationalen Literaturpreis des Hauses der Kulturen der Welt ausgezeichnet wurden.

Saisonder Wirbelstuerme

Saison der Wirbelstürme
von Fernanda Melchor
Übersetzung: Angelica Ammar
Verlag: Wagenbach 2019
240 Seiten, Broschur
Preis: 22 Euro