„Langschläfer sind keine Faulenzer“: Schlafexperte über biologische Uhren, Morgenmuffel und Handys im Schlafzimmer f79 – das Jugendmagazin | 01.10.2019 | Philip Thomas

Wecker

Dieter Riemann ist Abteilungsleiter für Klinische Psychologie und Psychophysiologie in der Freiburger Uniklinik. Der Professor plädiert für einen späteren Schulstart in Deutschland. Im Interview mit f79-Autor Philip Thomas erklärt der 61-Jährige, warum Schüler mehr Schlaf brauchen als ihre Lehrer, ob es sich lohnt, vor einer Klausur Nachtschichten zu schieben und welche Störfaktoren es im Schlafzimmer gibt.

f79 // Herr Riemann, wie sind Sie in der Schulzeit aus den Federn gekommen?

Riemann // In der Grundschule bin ich noch gut aus dem Bett gekommen. In der Pubertät wurde es schwieriger. Denn in dieser Zeit verändert sich unsere innere Uhr. Zwar bleibt man auch mal länger auf und schaut vielleicht einen Film bis in die Nacht. Damit hat das aber nichts zu tun. Unsere biologische Uhr verändert sich und damit auch unser Schlafbedarf.

f79 // Brauchen Schüler mehr Schlaf als ihre Lehrer?

Riemann // Ja, junge Menschen brauchen mehr Schlaf. Bei Kindern im ersten Lebensjahr sind es 14 Stunden, in der Pubertät sind es acht bis neun Stunden und später im Arbeitsleben sind es siebeneinhalb.

f79 // Schaut man sich morgens in einem Klassenzimmer um, scheinen viele die ersten Stunden zu verschlafen. Andere strotzen morgens vor Energie. Woran liegt das?

Riemann // Es gibt Lang- und Kurzschläfer sowie Morgen- und Abendtypen. Das ist zu hohen Teilen genetisch bedingt. Jeweils rund fünf Prozent liegen am Ende dieses Spektrums. Extreme Morgentypen können ihre beste Leistungsfähigkeit bereits um 7 Uhr im Büro abrufen. Abendtypen haben einen anderen Rhythmus und haben beispielsweise am späten Nachmittag und abends ein Hoch. Mit ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit hat das nichts zu tun. Langschäfer sind pauschal keine Faulenzer und Kurzschläfer nicht die Tüchtigen.

f79 // Wie wichtig ist Schlaf für junge Menschen?

Riemann // Schlaf ist gerade im jugendlichen Alter sehr wichtig, weil er auch für Hirnreifung und Wachstum zuständig ist. Eingriffe in dieses System könnten negative Folgen haben. Schlaf ist eine Grundvorausetzung, um körperlich und geistig leistungsfähig zu bleiben.

f79 // Welche Störfaktoren gibt es – außer lauten Nachbarn – in Schlafzimmern?

Riemann // Licht. Es beeinflusst unsere innere Uhr und hat auch einen wachmachenden Effekt. Gerade künstliches, blaues Licht aus Handys kann den Rhythmus durcheinanderbringen. Man sollte allerdings nicht nur über das Licht der Smartphones sprechen. Die Bildschirmkultur, mit WhatsApp oder SMS permanent gewappnet und in einer ständigen Erwartungshaltung zu sein, kann den Schlaf zerstören. Es lohnt sich, das Schlafzimmer ab 22 Uhr zur handyfreien Zone zu erklären. Auch Alkohol ist Gift für den Schlaf. Vielerorts wird geglaubt, man könne mit Promille besser einschlafen. In der Nacht dreht sich der Effekt allerdings um, man wird öfter wach und man braucht dann im Endeffekt mehr Schlaf, um ausgeruht zu sein.

f79 // Besser eine Nacht durchlernen oder lieber weniger pauken und dafür ausgeschlafen in die Klausur?

Riemann // Eine ganze Nacht durchzumachen mag funktionieren. Nachhaltiger wäre es allerdings, vorher zu lernen und dann auch nicht zu spät. Das kann am Einschlafen hindern. Schlaf ist für das Abspeichern von Informationen wichtig. Ich empfehle, bis maximal 20 Uhr zu lernen.

f79 // In Deutschland beginnt der Unterricht vielerorts um 8 Uhr. Halten Sie diese Uhrzeit für angemessen?

Riemann: Deutschland steht traditionell eher früh auf. Andere Länder wie beispielsweise England sind mit etwa 9 Uhr später dran. Auch hierzulande wäre ein Schulstart um beispielsweise 8.30 bis 9 Uhr sinnvoll.

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