Wie von Zauberhand – Ralf Schmid und sein Pyanook-Projekt Kultur | 02.04.2020 | Stella Schewe

Ralf Schmid

Wer Ralf Schmid schon mal auf der Bühne erlebt hat, war wahrscheinlich verblüfft. Der Jazzpianist erzeugt an zwei Flügeln, aber auch mit schwarzen Datenhandschuhen an seinen Händen. „Pyanook“ heißt das Projekt – es weist in die Zukunft.

Seine Gesten sind die eines Dirigenten: Ralf Schmid steht von der Klavierbank auf, hebt energisch seinen Arm mit dem schwarzen Handschuh und löst– quasi in der Luft, wie von Zauberhand – Klavierakkorde aus. Doch die Musiker, die er hier dirigiert, gibt es gar nicht. Der Pianist steuert seine eigenen Klänge, die er zuvor am Flügel eingespielt und elektronisch verfremdet hat.

„Normalerweise sitzen Menschen, die elektronische Musik machen, hinter Knöpfen und Reglern – ich aber habe die Knöpfe und Regler quasi an meinen Fingern“, erklärt der Professor der Musikhochschule Freiburg begeistert. Bänder in den Fingern seiner Datenhandschuhe reagieren auf Bewegung, wandeln diese in elektrische Signale um und leiten sie an einen Computer weiter, auf dem er für jede Bewegung bestimmte Klänge hinterlegt hat. „Wenn ich zum Beispiel eine Faust mache, folgt ein explosiver Klang, und wenn ich meine Arme ausbreite und die Hände öffne, entsteht Hall.“

PYANOOK-Cover

Das Cover der neuen Pyanook LP und CD.

Wichtig ist dem 50-Jährigen, dass es keine synthetischen, sondern immer Klavierklänge sind. „Auch wenn es wie eine ‚Bass Drum’ klingt, ist es zu 100 Prozent aus Holz und Stahl. Die Essenz des Projekts ist der Flügel“, betont er. Wobei einer der beiden Flügel präpariert und damit „stark verfremdet“ ist, will heißen: Schmid hat ihn mit Besteck oder Schneebesen bestückt. „Das ergibt eine andere, perkussive Klangwelt. Von Klangfarben war ich schon immer fasziniert.“

Aufgewachsen in Konstanz, begann er mit sechs Jahren Klavier zu spielen, studierte ab 1990 klassische Musik in Stuttgart, später Jazzpiano und Komposition in New York und Los Angeles, wohin er mit seiner Familie übersiedelte. 2000 kehrte er nach Deutschland zurück, war als Dirigent mit Big Bands wie der des SWR tätig und übernahm 2002 die Professur in Freiburg. Schmid arbeitete mit Stars wie Herbie Hancock, Nina Hagen oder Natalie Cole zusammen und gründete mit dem Trompeter Joo Kraus sowie der brasilianischen Sängerin Paula Morelenbaum das „bossarenova trio“.

2016 dann erwarb er in London eines der damals ganz neuen Datenhandschuh-Paare. „Ich habe sie anprobiert und mir war sofort klar: Damit will ich Musik machen.“ Bei einer Studioproduktion im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien begegnete er dem Lichtdesigner Pietro Cardarelli, der zu seiner Musik dreidimensionale Bilder entwickelte – steuerbar ebenfalls per Datenhandschuh: fliegende Punkte etwa, die sich je nach Bewegung neu anordnen.

„Ich versuche alles mitzunehmen und auszuprobieren“, erzählt der Künstler über sein Pyanook-Projekt. „Es muss wachsen und sich entwickeln.“ Seine Wurzeln, das klassische Klavierspiel, verliert Schmid dabei aber nie aus den Augen. „Ich kombiniere die Vergangenheit mit dem digitalen Zeitalter und glaube fest daran, dass Technologie etwas Befreiendes und Nützliches haben kann. Wenn wir sie kreativ einsetzen, können wir in neue Welten vorstoßen, die uns guttun.“

Info

Ralf Schmids Future Music Lab
9. Juli 2020
Humboldtsaal Freiburg
SWR Big Band
(Leitung Ralf Schmid)
13. Juli 2020, Platz der Alten Synagoge, Freiburg
Facebook/Instagram: @pyanook
https://linktr.ee/pyanook

Fotos: © Ralf Dombrowski, PYANOOK – Press Photos