Kolumne Nachgewürzt: Dreißig Jahre Deutsche Einheit Kultur | 14.10.2020 | Florian Schroeder

Florian Schroeder

30 ist ein merkwürdiges Alter. Neue Studien belegen, dass man mit 30 erst so richtig erwachsen wird. Und doch sind viele Eltern immer noch fassungslos, wenn ihre Kinder bis 30 zu Hause wohnen bleiben wollen.

Ungefähr so geht es auch der deutschen Einheit, die nun 30 wird: Viele denken, nun wäre es mal an der Zeit, dass die nun auch mal aus dem Quark kommt. Leider ist es mit der deutschen Einheit eher wie mit einer Ehe: Nach 30 Jahren kann man von Glück reden, wenn man nicht mehr miteinander redet. Und zuhören tut man überhaupt nur noch, wenn es ums Geld geht.

Heute sind vor allem die ostdeutschen Bundesländer von Corona viel weniger betroffen. Hat es also auch sein Gutes, wenn man sich keinen Skiurlaub in Ischgl leisten kann. Und so sind sie bei den Einigkeitsfeierlichkeiten dieses Jahr auch zum Großteil gar nicht dabei, denn die werden vorwiegend online abgehalten. Und wenn Deutschland eins nicht ist, dann flächendeckend digitalisiert.

So richtig angekommen sind die Errungenschaften des Ostens im Westen allerdings immer noch nicht. Mit Hilfsbereitschaft, Bescheidenheit und Zurückhaltung, den Eigenschaften, mit denen Ostdeutsche sich stark identifizieren, gewinnt man bei der Deutschen Bank keine Schrippe. Nur der grüne Pfeil, der es einem auch bei roter Ampel erlaubt, rechts abzubiegen, der hat sich bewährt: Jetzt biegen alle Deutschen sofort rechts ab, wenn ihnen irgendetwas verboten wird – Rasen in verkehrsberuhigten Zonen, Billigflüge zur Hartz-IV-Insel Mallorca oder das Fleischessen dreimal täglich sieben Tage die Woche.

„Deutschland ist eins: vieles” heißt das etwas rätselhafte Motto der Bundesregierung zum Geburtstag. Man möchte einwenden: Vieles aber auch nicht! Freundlich zum Beispiel. Oder gar fröhlich. Nein, das ginge nun wirklich zu weit! Deutschland ist noch immer Grönemeyer-Land. Stets schwer vergrübelt und eingenommen von sich und den eigenen Sorgen und Ängsten. In Deutschland trägt man lieber Bedenken als Verantwortung.

„Vieles“ kann halt vieles sein, und so toll sich der Slogan anhört, so substanzlos ist er doch als Antwort etwa auf die Frage: „Was hast du gestern so gemacht?” „Vieles.”

Korrekt müsste das Jubeltags-Motto also lauten: Deutschland ist vieles – aber nicht eins. Außer bei einer Frage vielleicht, ob das Land Menschen aus Moria aufnehmen soll. Da werden Osten, Westen und die sonst so leidenschaftlich gehasste Bundesregierung wirklich eins.

Florian Schroeder, Kabarettist,
studierte in Freiburg, lebt in Berlin und vergibt die chilli-Schote am goldenen Band.

Foto: © Frank Eidel