Intellektuelle Injektion: ZKM verlängert Critical Zones Kultur | 25.12.2020 | Lars Bargmann

Schwebezustände: Im Karlsruher ZKM läuft derzeit eine Ausstellung…

Für den Deutschlandfunk Kultur ist es die „wichtigste Ausstellung des Coronajahres 2020“, die Critical Zones am ZKM in Karlsruhe. Sie sollte bis Ende Februar 2021 laufen, ist aber nun bis zum 8. August verlängert.

Wie verletzlich der für die meisten so selbstverständliche Planet Erde im 21. Jahrhundert doch ist. Die Pandemie überrollt den Erdball, die Spurensuche nach dem Klimawandel ist keine wissenschaftliche Großtat mehr; Greta Thunberg, Fridays for future und extinction rebellion haben am Stammtisch des Alltags längst Platz genommen.

In der Ausstellung, die der Philosoph Bruno Latour und ZKM-Chef Peter Weibel planetenweit weg vom Frontalunterricht kuratiert haben, ist eine Art Gedanken-Kompressor für denkende Wesen – und genau diese sind die eigentliche kritische Masse für die Erde. Deren Oberfläche ist eine dünne Haut, in der sich messen lässt, wie es dem Patienten geht. Gemessen wird dieser Zustand weltweit mit Kritische-Zone-Observatorien. Bildlich gesprochen steht morgens, wenn wir den ersten Fuß auf die Straße setzen, schon ein Schild vor uns: „Achtung, Sie betreten eine kritische Zone.“

ZKM

…die Horizonte einer neuen Erdpolitik eröffnen will.

Die Ausstellung versteht sich als kritische Zone des Nachdenkens. Neue Perspektiven entdecken steckt in ihrer DNA. Wie das wissenschaftliche Selbstverständnis von Alexander von Humboldt. Ein neues Weltverständnis soll daraus entstehen. Eines, das der Politik als weiteres Werkzeug für künftige Entscheidungen die Hand führen soll. Der Untertitel „Horizonte einer neuen Erdpolitik“ hört sich ein bisschen hochtrabend an – wird aber eindrucksvoll eingelöst. Selbst ein virtueller Ausstellungsbesuch wird über Stunden nie langweilig.

Planetare Vulnerabilität

Man landet schnell bei Gaia, dem Konzept von James Lovelock und Lynn Margulis, das aufzeigt, wie allgegenwärtig die Vernetzungen auf dem Globus sind. Das gilt schon beim einfachen Einatmen von Luft. Oder die Frage, was der globale Abbau Seltener Erden mit der Zukunft Grönlands zu tun hat.

ZKM

Allgegenwärtige Vernetzung.

Critical Zones verschränkt Digitales und Analoges, Schönes und Bedrohliches, Spielerisches und Erschreckendes, Gestriges, Heutiges und Morgiges, ganz Kleines (etwa ein Virus) mit ganz Großem. Die Exponate, die geschaffenen Räume mit komplexem Interieur von Kunst und Wissenschaft (kann man aus dem Fließen von Flusswasser einen Sound kreieren?), appellieren wie andere auch an die Lust zur Beobachtung, am ZKM aber an eine teilnehmende, in Gang setzende. Critical Zones sind ebenso eine intelligente Provokation wie eine intellektuelle Injektion.

 

Info
Das ZKM (Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe) bietet sowohl eine virtuelle Ausstellung auf einer digitalen Plattform (https://critical-zones.zkm.de)als auch
eine analoge vor Ort (www.zkm.de/de/critical-zones) an. Begleitprogramm unter: www.zkm.de/aktivierungsprogramm

Fotos: (von o. in Reihenfolge): © A. Arènes, S.Hajmirbaba, mit ZKM, SOC, OZCAR, OHGE. Film: S.Levy, Ton: P. Franke; Assistenz: F. Vivet; Karten: A. Arènes & A. Gregoire; Animation: J. Damourette & S.Levy; Musik: G.Lorieeux; Modelle: R. Hauray & M. Jamirbaba, © ZKM │ Karlsruhe, Foto: Elias Siebert; © Sarah Sze © ZKM │ Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, Foto: Elias Siebert; © Forensic Architecture, © ZKM │ Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, Foto: Elias Siebert