Dramatisches Ende eines Irrwegs – Ein Musiktheater über das Engländerunglück am Schauinsland Kultur | 16.04.2021 | Erika Weisser

Musiktheater

Am Morgen des 17. April 1936 brechen 27 Schüler in Begleitung eines einzigen Lehrers zu einer Wanderung von Freiburg über den Schauinsland nach Todtnauberg auf – in kurzen Hosen, leichten Halbschuhen, dünnen Jacken, ohne Kopfbedeckung und mit wenig Proviant, von Jugendherberge zu Jugendherberge. Die Jungs, zwischen 12 und 17 Jahre alt, sind tags zuvor aus London angereist, um den Schwarzwald zu erkunden und sich vor Ort ein Bild zu machen von dem Land, das sich mit dem ihren noch nicht im Krieg befindet.

Die als Abenteuer und Bewährungsprobe gedachte Bergtour wird jedoch bald zu einer desorientierten Tour de Force durch teils hüfthohen Neuschnee, Nebel und Finsternis. Und der Lehrer ist weder durch Wettervorhersagen oder Warnungen von Einheimischen noch durch anhaltendes Schnee­treiben zur Umkehr zu bewegen. Auch dann nicht, als er mit seinen Schützlingen nach stundenlangen Irr- und Umwegen erst in der Dämmerung unterhalb der Kappler Wand ankommt: Er zwingt sie, sich über diesen steilen Aufstieg zum Schauinslandkamm hinaufzukämpfen.

Von den nun folgenden Geschehnissen zeugen heute ein Denkmal und ein Kreuz auf dem Berg und eine Gedenktafel an der Hofsgrunder Kirche. Deren Abendgeläut hören die verirrten Schüler nämlich und gehen dem Klang nach – auf der Suche nach Zuflucht und Rettung für die Kollegen, die entkräftet und unterkühlt im Schnee liegen bleiben. Fast alle Hofsgrunder Männer machen sich sofort auf den Weg, doch für fünf Jugendliche kommt ihre Hilfe zu spät.

Von den Geschehnissen und den Folgen berichtet auch eine soeben erschienene historische Dokumentation von Bernd Hainmüller, der seit 20 Jahren zu diesem Thema forscht. „Tod am Schauinsland“ heißt das Buch, in dem der ehemalige Lehrer und Lehrerausbilder zu dem Schluss kommt, dass die Ursache der Katastrophe „eine geradezu groteske Mischung“ aus bodenlosem Leichtsinn, mangelnder Ausrüstung, fehlender Ortskenntnis, fehl­geleiteter Pädagogik und Ehrgeiz war. Die 2016 zunächst als Broschüre veröffentlichten Recherchen des Freiburgers fasste damals Kate Conolly, Deutschland-Korrespondentin des „Guardian“, in einem Artikel zusammen – und diesen las die Londoner Theaterautorin Pamela Carter.

Sie beschloss, daraus ein Theaterstück aus der Sicht der Kinder zu machen, begann ihrerseits zu forschen und nahm Kontakt zu Hainmüller auf. Er führte sie im Sommer 2017 an die Orte des Geschehens. Mit von der Partie war auch Rüdiger Bering, damals neuer Chefdramaturg am Theater Freiburg. Er und der gleichfalls neue Intendant Peter Carp waren bei ihrer Suche nach bühnengeeigneten lokalen Stoffen über den Suhrkamp-Theaterverlag auf Carters Vorhaben aufmerksam geworden und mit ihr in Kontakt getreten.

Sie waren sich bald einig: Pamela Carter schrieb ihr Stück „Schauinsland. The Misfortune of the English“ als Auftragswerk fürs Freiburger Theater. Und da diese laut Bering „wunderbar vielstimmige und poetische Textfläche“ sich „weniger als Schauspiel denn als perfektes Libretto für zeitgenössisches Musiktheater“ erwies, suchten sie einen passenden Komponisten. Und fanden ihn in Jan Dvorak vom Hamburger Musiktheaterkollektiv Kommando Himmelfahrt. Er vertonte das Stück und entwickelte es zusammen mit seinem Kollektiv-Kollegen, dem Regisseur Thomas Fiedler, zu einem „Mysteriösen Hör- und Bildertheater“. Daran beteiligt sind ein Sprecher, eine Sängerin, ein Ensemble mit sechs Kindern, ein Streichquartett, mehrere Schlagwerke und ein E-Bass.

Nach Auskunft von Dramaturgin Annika Hertwig geht es dabei um die „Darstellung der vom Äußeren beeinflussten inneren Prozesse der Gruppe und der Einzelnen, untermalt von atmosphärischer Musik“ – und in englischer Sprache. Die Uraufführung war Mitte April vorgesehen – zum 85. Jahrestag der Tragödie. Sie findet nun am 19. Juni statt. Im Großen Haus.

Foto: © Julia Kneuse