Das Open-Air-Festival „Ins Weite“ hat begonnen – und noch viel zu bieten Kultur | 23.07.2021 | Erika Weisser

„Nomadland“ – der große Gewinnerfilm der diesjährigen Oscar-Verleihung.

Es ist schon eine besondere Stimmung in der Dämmerung im Mensagarten: Fast alle Stühle sind besetzt, auch auf den Biertischbänken und den auf der Wiese ausgebreiteten Decken harrt ein erwartungsvolles Publikum dem weiteren Lauf der Dinge. Die stabile mobile Leinwand ist längst aufgepumpt, im Technikzelt wird noch die Tonwiedergabe gecheckt. Der Abend ist lau, keine Wolke zeigt sich neben dem aufgehenden Vollmond am dunkler werdenden Himmel.

Unter Beifall ziehen festlich gekleidete, vorwiegend junge Menschen ein; sie tragen Musikinstrumente bei sich und nehmen auf den vor der Leinwand aufgestellten Stühlen Platz: das Freiburger Studierendenorchester wird die Anwesenden heute durch den Abend spielen – und ihnen dabei eine Welt-Uraufführung zu Gehör bringen. In doppelt einprägsamer Weise: Ihr heutiges Konzert ist die musikalische Ergänzung zu Charlie Chaplins Stummfilm „The Immigrant“ aus dem Jahr 1917, der an diesem Abend im Rahmen des vom Kommunalen Kino (KoKi) veranstalteten Festival „Ins Weite – Reisen in Film, Musik, Literatur“ gezeigt wird. Das Stück hat der bekannte Freiburger Stummfilmmusiker Günter A. Buchwald komponiert, er hat für diese Aufführung auch die Leitung des Orchesters übernommen.

Chaplin

Charlie Chaplins Stummfilm „The Immigrant“ aus dem Jahr 1917.

Doch bevor er den Taktstock hebt und das Orchester zu Höchstleistungen dirigiert, ist zu erfahren, dass das KoKi dem Studierendenwerk diesen Film geschenkt hat – als Dank für die Überlassung der Mensawiese und zum 100. Jubiläum, das diese Institution in diesem Jahr feiert. KoKi-Leiterin Neriman Bayram freut sich, dass die 27 Ensemble-Mitglieder es geschafft haben, Buchwalds brandneue Komposition für den 104 Jahre alten Film innerhalb von etwa drei Wochen einzuüben und nun uraufzuführen. Und sie freut sich, dass mit „The Immigrant“ in Freiburg der allererste Film gezeigt werden kann, der sich mit dem Thema Migration beschäftigt.

Zum Thema „Reisen“ gehört für die Veranstalter dieses Festivals schließlich nicht nur die individuelle „Entdeckung“ bisher unbekannte Weltengegenden, das freiwillige Unterwegssein. Sondern und vor allem auch die unfreiwilligen „Reisen“, auf die sich Menschen begeben, um etwa Krieg, Gewalt, Not, Elend und der Zerstörung ihrer Lebenswelt zu entkommen. Oder um sich mit Wasser und dem sonstigen Nötigsten zu versorgen. Oder als von Ort zu Ort ziehende Camper, weil das Einkommen nicht mehr für Miete und Energiekosten und somit nicht für das Leben in einer festen Wohnung reicht.

Eine solche Produktion ist „Nomadland“, der große Gewinnerfilm der diesjährigen Oscar-Verleihung. Eine Vorführung dieses einfühlsamen Porträts einer auf den Highways der USA lebenden älteren Frau, die nach dem Tod ihres Mannes und der Schließung der ortsansässigen Mine arbeits- und obdachlos wurde, war für Samstag, 31. Juli, geplant, muss jetzt aber ausfallen. Um „Nomads“ geht es dann aber auch am Mittwoch, 4. August, 21.30 Uhr, wenn Filmemacher Werner Herzog „In the Footsteps of Bruce Chatwin“ unterwegs ist.

Doch auch an diesem Wochenende und in der kommenden Woche gibt es noch einige Höhepunkte. So gibt es am Samstag, 24.7., 21.45 Uhr den Film „Der Mann, der seine Haut verkaufte“. Er stammt von der tunesischen Regisseurin Kaouther Ben Hania, feierte 2020 bei den Filmfestspielen von Venedig seine Premiere und wurde 2021 mit dem Friedenspreis des deutschen Films – die Brücke ausgezeichnet. Der Abend beginnt indes schon um 20 Uhr – mit einem World Chamber Music-Konzert mit dem Instrumentalist:innenkollektiv „Beyond the Roots“, dessen fünf Musiker:innen Weltmusik und Kammermusik durch die Kraft der Improvisation verbinden.

Am Mittwoch, 28. Juli, geht es dann weiter mit der Fortsetzung der Special-Reihe zu Michael Glawogger. Nach dem bereits gezeigten „Slumming“ ist hier um 21.45 Uhr sein Kurzfilm „Haiku“ zu sehen, danach die Dokumentation „Workingman’s Death“, der dem österreichischen Filmemacher zu weltweiter Berühmtheit verhalf.

Zwei Tage darauf (30.7., 21.45 Uhr) steht „Untitled“ auf dem Programm. „Dieser Film soll ein Bild der Welt entstehen lassen, wie es nur gemacht werden kann, wenn man keinem Thema nachgeht, keine Wertung sucht und kein Ziel verfolgt. Wenn man sich von nichts treiben lässt als der eigenen Neugier und Intuition.“ – mit diesem Vorsatz war Glawogger 2013 aufgebrochen, von Österreich über den Balkan nach Nordafrika und nach Liberia. Doch dort starb er unerwartet mitten in der Arbeit zu diesem Projekt, im April 2014. Der Film entstand 2017 mit seinem Bildmaterial  – mehr als zwei Jahre nach Glawoggers Tod. Zuvor, um 20 Uhr, gibt es eine ganz besondere Lesung: Hier besteht die Möglichkeit, den Filmemacher auch als Autoren kennenzulernen: Seine Witwe Andrea Glawogger liest im Mensagarten zusammen mit dem Freiburger Schauspieler Peter Haug-Lamersdorf aus seinem Buch „69 Hotelzimmer“.

„Untitled“ entstand 2017 mit Bildmaterial von Glawogger – mehr als zwei Jahre nach seinem plötzlichen Tod in Liberia.

Des Weiteren sind noch Flme wie „Double Journey“ (8.8.), „Night on Earth“ von Jim Jarmusch (13.8.) oder „Thelma & Louise“ und Wim Wenders’ „Alice in den Städten“ sowie „Queen & Slim“ angekündigt. Und etliche mehr. Große Beachtung verdient außerdem das Live-Musik- und Literaturgesprächsprogramm dieses nun schon zum zweiten Mal organisieren Open-Air-Festivals, zu dessen Aufführungsorten außer dem Mensagarten auch der I Kastanienplatz beim Alten Wiehrebahnhof und der nnenhof des Museums für Neue Kunst gehört.

Infos & Programm

www.koki-freiburg.de/insweite

Fotos: © Searchlight Pictures, KoKi