KNIGGE-ABC für Kids: Gegenseitiger Respekt durch Wertschätzung Erziehung | 05.03.2022 | Arwen Stock

Benimmregeln, Kind beim Essen, Tischmanieren

Immer das Gleiche: Der Junior schmatzt beim Essen. Das kleinere Geschwisterkind nimmt sich ein Beispiel daran. Und die Eltern reden sich den Mund fusselig. Insgeheim jedoch weiß es der Nachwuchs besser, sagt Betül Hanisch. Die Knigge-Trainerin aus Freiburg spricht im Interview mit Arwen Stock über ihre Kinderkurse, gute Manieren und das Passwort fürs Leben.

4family: Früh übt sich: Bestätigt sich in Ihren Erwachsenen-Kursen dieser Spruch?
Betül Hanisch: Ja, wobei es nie zu spät ist. Alle Erwachsenen erzählen, dass ihre Eltern sie mit Manieren genervt haben, sie heute aber dankbar sind.

4family: Warum ist das wichtig?
Hanisch: Je früher ich die Erkenntnis habe, was gutes Benehmen ist, umso sicherer fühle ich mich in einer unbekannten Umgebung. Als Erwachsener in der Geschäftswelt braucht es dann keine Umstellung mehr. Wenn mein Gegenüber beispielsweise schick gekleidet ist, weiß ich: Der achtet auch bei mir darauf. Gleiches gilt für die Tischmanieren.

4family: Das klingt nach: Iss zu Hause, als ob du beim König bist. Wie kann man dieses Motto ans Kind bringen?
Hanisch: Schwierig. Das Kind wird kontern, dass es nie beim König essen wird. Deshalb würde ich lieber selbst vorbildlich am Tisch essen. Kinder ahmen alles nach.

4family: Wie alt sind die Kinder in Ihren Kursen?
Hanisch: Zu mir kommen Kinder ab der 3. bis 9. Klasse.

4family: Welches ist der größte Knackpunkt in Ihren Kursen?
Hanisch: Der Knackpunkt ist, das Kind überhaupt in den Kurs zu bringen. Aber spätestens, wenn sie im Seminar merken, dass ich nicht das Fräulein Rottenmeier von Heidi bin (lacht), dann öffnen sie sich. Viele der Kinder wissen auch gar nicht, was Knigge bedeutet.

4family: Wie erreichen Sie die Kinder in ihren Knigge-Kursen?
Hanisch: Ich schaue, dass ich das Vertrauen der Kinder gewinne. Und dann geht es in meinen Kinderkursen eigentlich um dieselben Themen wie in den Erwachsenenkursen: um Bitte und Danke, die Tischsitten, Schadenfreude, das Türe aufhalten, wie man auf die Toilette geht, die Nase putzt, wie und wann man Geschenke macht, was man macht, wenn es nicht schmeckt, wenn das Geschenk nicht gefällt und wie man Komplimente macht.

4family: Sind die Themen neu für die Kinder und Jugendlichen?
Hanisch: Nein. Die Kinder, die zu mir geschickt werden, haben meist manierenbewusste Eltern. Außerdem kennen alle Kinder mehr oder weniger die sozialen Regeln der Wertschätzung.

4family: Wofür braucht es dann einen Knigge-Kurs?
Hanisch: Manchmal führt der Umweg zum Ziel. Das Kind nimmt sich die meisten Freiheiten zu Hause raus. Es ist auch gut, dass es sich dort frei fühlt. Der Kurs hat den Vorteil, dass jemand Externes über gutes Benehmen spricht und nicht die Mutter oder der Vater. Das Kind bekommt so die Bestätigung, dass eine Erziehung zu Tischmanieren und Benehmen keine Bestrafung, sondern ein Zeichen von Wertschätzung ist.

4family: Bringt das was?
Hanisch: Ja, die Eltern berichten mir, dass der Wandel nach den Kursen gleich da war. Beispielsweise hat sich das Kind beim Restaurantbesuch mit einem „Kann ich dich kurz allein lassen“ oder „Ich bin gleich wieder da“ auf die Toilette verabschiedet.

4family: Welches ist die größte Knigge-Baustelle bei Kindern?
Hanisch: Die Sprache. Ein Kind sollte sich sprachlich so ausdrückten können, dass die Wertschätzung zum Ausdruck kommt. Viele reden nicht mehr in ganzen Sätzen. Sich die Zeit zum Sprechen zu nehmen, ist wichtig. Kinder können durchaus lernen, ihre Jugendsprache nur untereinander anzuwenden.

4family: Was ist das Wichtigste in Ihren Kursen?
Hanisch: Erfolgreich war unser Seminar dann, wenn alle Spaß hatten und auch viel gelacht wurde. Denn das Passwort fürs Leben lautet Humor.

4family: Spaß und Knigge – passt das zusammen?
Hanisch: Das gehört zusammen. Ich sage den Kindern immer, sie sollen nicht auf den großen Moment warten, um ihre guten Manieren zu zeigen, sondern jede kleine Gelegenheit nutzen. Außerdem ermutige ich sie bei Schadenfreude, dass man sich auch Tage später noch entschuldigen kann. Das hilft nicht nur gegen das schlechte Gewissen. Es ist wichtig, weil auch Kinder eine Vorbildfunktion haben, und so auch andere Kinder diese Wertschätzung sehen.

4family: Leuchtet das den Kindern ein?
Hanisch: Ja. Ich frage in meinen Seminaren immer: Was ist das Schlimmste, was uns passieren kann? Die Antwort ist bei allen Kindern die Gleiche: vergessen oder ignoriert zu werden. Wertschätzung zeigt sich mit Aufmerksamkeit, Geburtstagsgeschenken, Anrufen. Knigge ist genau das: das Gefühl, geachtet und beachtet zu werden. Das zu erfahren und zu geben, macht Freude. Umgekehrt kennt jedes Kind das unangenehme Gefühl, nicht zum Geburtstag eingeladen zu sein oder später, keine Antwort auf seine WhatsApp oder SMS zu bekommen.

4family: Was raten Sie Eltern?
Hanisch: Erstens: Eltern sind Vorbilder, sie sollten weniger reden und stattdessen mehr machen. Und zweitens: In der Pubertät nicht mehr erziehen. Die Erziehung wird schon mit elf, zwölf Jahren schwierig, und mit 14 Jahren ist dann „wegen Umbau geschlossen“.

4family: Welchen Rat geben Sie Kindern?
Hanisch: Ich gebe Kindern gar keinen Rat. Sie sind frei in ihrer Entscheidung, ob sie Manieren anwenden oder nicht. Es gibt keine Knigge-Polizei. Das Einzige, was ich ihnen klarmache, ist, dass sie wissen, was da draußen passiert und nichts zufällig geschieht. Wir alle bekommen immer eine Quittung für das, was wir machen. Sie lernen, dass sie durch die Art ihres Verhaltens beeinflussen, wie sich ihr Umfeld verhält. Ich entlasse sie in die Selbstverantwortung. Dadurch sind sie sichtlich erleichtert, weil sie erkennen, wie leicht es möglich ist, Wertschätzung sichtbar zu machen und so auch Selbstzufriedenheit zu erlangen.

Betül Hanisch Portrait

Zur Person:
Betül Hanisch, 1975 geboren, wuchs in Breisach auf. Nach dem Abitur arbeitete sie als Flugbegleiterin. Sie absolvierte diverse Weiterbildungen, u.a. an der Butlerschule Ivor Spencer. Mit dieser Berufserfahrung machte sie sich 2006 mit der Knigge-Schule „Fast Perfekt“ in Freiburg selbstständig. Seither gibt sie Seminare, Business- und Einzel-Trainings, hält Vorträge und bietet auch Kinderkurse an.

INFO
www.knigge-schule.de

Fotos: © iStock.com/ djedzura; Rainer Muranyi