Moritz Neumeier im Paulussaal: Triggerwarnung im knielangen Rock Kultur | 27.09.2022 | Pascal Lienhard

Moritz Neumeier im Paulussaal Gegen tradierte Geschlechterbilder: Moritz Neumeier im Paulussaal

„Dein Vater ist ein Bonzenschwein.“ Wer eine Show von Moritz Neumeier besucht, darf sich über solch direkte Ansprachen nicht wundern. Bei seinem Gastspiel im gut gefüllten Freiburger Paulussaal lieferte der Comedian, was Fans von ihm erwarten: derbe Witze, ernste Gedanken, Gesellschaftskritik – und wenn es sein muss auch ein augenzwinkernder Aufruf zur Lynchjustiz.

Der aus Schleswig-Holstein stammende Moritz Neumeier hat sich mit Poetry-Slams einen Namen gemacht. Vielen dürfte er aus Auftritten bei der NDR-Sendung „extra3“ oder der „Anstalt“ vom ZDF sowie dem Podcast „Talk ohne Gast“ mit Kollege Till Reiners ein Begriff sein. Woran man bei Neumeier ist, zeigt schon der Blick aufs Merchandise: Auf T-Shirts und Hoodies prangt das Motto „Das ist nicht links, das ist logisch“, am Stand werden zudem „linke Socken“ verkauft.

Hinnerk Köhn im Paulussaal eier auf Tour

Anheizer: Poetry-Slammer Hinnerk Köhn ist seit 2019 mit Moritz Neumeier auf Tour

Für erste Lacher sorgt Poetry-Slammer Hinnerk Köhn mit einem rund 15-minütigen Set. Der 28-Jährige ist seit 2019 mit Neumeier unterwegs und blickt humoristisch auf seine Kindheit in Norddeutschland, deutsche Festivals und den eigenen Umgang mit Alkohol und Drogen. Letztere sind der Grund, warum auf der aktuellen Tour Neumeier den Tourwagen steuern muss: Schuld ist ein Hamburger Festival und Köhns nicht ganz nüchterne Heimfahrt auf dem Rad.

Und dann steht der Fahrer selbst auf der Bühne. Mit Schiebermütze, Brille, einfarbigem Hemd und Kaffeetasse wirkt der 34-Jährige wie ein Abziehbild des intellektuellen Kabarettisten. Doch zu besagtem Outfit trägt Neumeier einen Rock, der dreifache Vater hat tradierten Geschlechterbildern den Kampf angesagt. Bereits Anfang 2020 begann er, sich die Nägel zu lackieren. Damals habe der Sohn aufgehört sich die Nägel zu lackieren – wegen Hänseleien im Kindergarten. Die Lösung von Papa Neumeier: Selbst die Nägel lackieren.

Die Nägel sind im Paulussaal zwar unlackiert, alles andere ist bei Neumeier unangepasst. Laut Pressetext ist das aktuelle Programm eine „einzige Triggerwarnung“. Und das zu Recht: Wer sich schnell angegriffen fühlt, ist hier an der falschen Adresse. In improvisierten Parts fragt er einzelne Gäste aus. Da werden wohlhabende Väter eben mal als „Bonzenschweine“ bezeichnet oder Gäste dem Handel mit Falschgeld bezichtigt. Auch die Themenwahl ist nicht für jedermann geeignet: mentale Gesundheit, Alltagsrassismus, sexuelle Übergriffe – Neumeier kennt kaum Tabus. Bei einigen seiner Sprüche vergeht da auch manchen Gästen das Lachen.

Moritz Neumeier im Paulussaal

„Linke Socke“: Moritz Neumeier nimmt kein Blatt vor den Mund

Zwar spielt die Politik im Gegensatz zu früheren Programmen keine große Rolle mehr. Dennoch verzichtet der Norddeutsche nicht auf politische Statements. „Ich bin der Meinung, dass kein Mensch mehr als eine viertel Million Euro haben soll“, verkündet er etwa. Und wenn jemand sein Geld nicht abgegeben will? Die Antwort ist – typisch für Neumeier und seinen Humor – knochentrocken: dann muss eben Lynchjustiz her.

Nur gut, dass sich der Aufruf nicht gegen den Comedian selbst wendet. Nicht jeder würde auf der Bühne des Paulussaals damit durchkommen, Freiburg mit Augsburg zu verwechseln – wo der Comedian am nächsten Tag spielt. „Bonzenschweine“ und Betrüger wird der Comedian sicher auch dort finden.

Fotos: © Pascal Lienhard, Franziska Becker