Mit Tourette im Theater: „Relaxed Performances“ erreichen Freiburg Kultur | 24.04.2023 | Till Neumann

Das Stück „Boss/y“ im Theater Freiburg Etwas lässiger: Beim Stück „Boss/y“ ging es hoch her. Das Publikum durfte selbst laut sein.

Husten, Geräusche machen, aufstehen – alles kein Problem. Mit den „Relaxed Performances“ will das Theater Freiburg barrierefreier werden. Die Vorstellungen richten sich an Menschen, die es entspannt mögen oder nicht ruhig sitzen können. Zum Beispiel mit Tourette-Syndrom. chilli-Redakteur Till Neumann hat sich die Premiere angesehen.

Kein Stroboskop-Licht

Schon beim Gang in den Saal wird klar: Hier ist was anders. Vor der ersten Reihe liegen bunte Sitzkissen. Doch noch traut sich keiner drauf. Schließlich wird das Format an diesem Sonntag im März zum ersten Mal am Freiburger Theater getestet. Gezeigt wird das Stück „Boss/y – ein feministischer Leaderabend“.

Bevor die Schauspielerinnen auf die Bühne kommen, erklärt Dramaturgin Tamina Theiß dem Publikum, was Sache ist: Etwas Licht ist durchgehend an im Saal, wer aufstehen und rausgehen möchte, kann das tun, auch Geräusche machen ist kein Problem. Zudem wird auf Stroboskoplicht verzichtet.

„Stressiger Vorgang“ fällt weg

Michael Kaiser: „Eine kleine Stellschraube“

„Das Angebot ist eine kleine Stellschraube in der Grundverabredung eines Theaterabends“, erklärt Michael Kaiser. Der Künstlerische Leiter des Jungen Theaters ist überzeugt: „Allein die Tatsache, dass an so einem Abend alles ein bisschen entspannter ist als sonst, wirkt.“ Manche Menschen müssten wegen einer Reizblase beispielsweise alle 30 Minuten aufs Klo. Daher kämen sie nicht ins Theater. Auch solchen Leuten sollen die relaxten Abende Türen öffnen. Kaiser weiß von Fällen, wo die Blase bei entspanntem Setting dann eben doch nicht gedrückt hat. Auch ein Hustenreiz könne verschwinden, wenn der „stressige Vorgang“ nicht husten zu wollen wegfällt.

Tamina Theiß (42) und Michael Kaiser (45) haben das Format nach Freiburg gebracht. Sie kennen kein Stadttheater im Bundesgebiet, das so etwas schon gemacht hat. „Das kennt man eher von Festivals, der freien Szene oder aus der Schweiz und dem englischsprachigen Raum“, berichtet Theiß.

Inspiration in Basel

Barrieren abzubauen versuchen sie schon seit einigen Jahren. Wie gut das mit einer relaxten Vorstellung klappt, haben sie sich im Theater Roxy in Birsfelden bei Basel angeschaut. „Wir haben bis tief in die Nacht mit der Kuratorin gesprochen“, erzählen sie. Im Roxy gibt es das Format seit 2021. Fünf bis sechs solcher Performances steigen dort pro Spielzeit.

Roxy-Sprecherin Nele Gittermann berichtet Positives: „Die Relaxed Performances sind ein Gewinn für das gesamte Publikum.“ Entspannter Theater schauen mache die Vorstellungen für ein breiteres Publikum zugänglich, zum Beispiel für Menschen mit kleinen Kindern oder wenig Theatererfahrung. Die „Regeln“ des Abends würden sehr offen kommuniziert. Für die Künstler·innen könne das Format aber ein Mehraufwand sein und künstlerische Kompromisse entstehen. Deshalb sei es wichtig, dass das gesamte Team hinter dem Format steht.

„Total happy“

In Freiburg kam der Testballon an. Auch wenn kein wildes Gewusel im Saal entstand, die Sitzkissen füllten sich, etwas Lockeres lag in der Luft. Die Macher sind „total happy“, wie Kaiser sagt. Eine Fortsetzung ist sicher. Betonen möchten sie dennoch: Auch bei sonstigen Vorstellungen darf mal gehustet werden.

Foto: © Theater Freiburg