Spektakuläre Uni-Keller: giftig, kalt, klein STADTGEPLAUDER | 15.04.2016

Das Unsichtbare sehen – Jürgen Steck von der Uni Freiburg kann das täglich. Das chilli hat ihn durch die unterirdischen Teile der Uni begleitet. Durch den giftigsten, kühlsten, nassesten und kleinsten Keller. Seine Freunde nennen Steck »U-Boot-Kapitän«. (Bildergalerie)

Behälter im Zentralen Sammellager der Uni

Bäume, Wiesen und Felsbrocken zieren den Geologischen Garten im Institutsviertel der Uni Freiburg. Weniger beschaulich geht’s darunter zu: Rund 20 Tonnen ätzende, brennende oder giftige Stoffe lagern unter der Albertstraße. Das Zentrale Sammellager der Uni. Explosionsgeschützt, luftüberwacht und voller Totenköpfe. Willkommen im gefährlichsten Keller der Uni.

Kaum einer kennt sich dort besser aus als Jürgen Steck, Leiter der Stabsstelle Umweltschutz der Uni Freiburg. Der 57-jährige Chemiker hat die abendliche Führung wochenlang vorbereitet. Das Sammellager ist um diese  Uhrzeit außer Betrieb, sonst wäre eine Begehung unmöglich. Elektrische Geräte wie Handys, Herzschrittmacher oder Kameras sind eigentlich verboten – Funken könnten Lösemitteldämpfe entzünden. Ein Brand könnte schlimme Folgen haben. Seit Inbetriebnahme im Jahr 2001 gab es nicht einen Zwischenfall. »Da sind wir unheimlich stolz darauf«, sagt Steck.

Treten Dämpfe aus, schlagen zwei Infrarotdetektoren Alarm. »75 Dezibel, da bleibt keiner freiwillig«, sagt der Giftexperte. Für den Notfall gibt es eine CO2-Löschanlage, die im Brandfall den Raum mit Kohlenstoffdioxid flutet, um dem Feuer den Sauerstoff zu nehmen. Gearbeitet wird in Schutzanzügen, in denen Steck und seine Kollegen aussehen wie »Marsmenschen«. Sogar der Staubsauger ist explosionsgeschützt. Alle Sonderabfälle der Uni,  Uniklinik und anderer Landeseinrichtungen lagern unter der Alberstraße 23. Zum Beispiel Ethanol, Natronlauge oder Salzsäure. Hauptlieferanten sind Pharmazie, Biologie und Medizin. Bis zu 75 Tonnen haben dort Platz. Die zentrale Lage ist kein Zufall: »60 Prozent der Abfälle werden zu Fuß angeliefert. Wäre das Lager außerhalb, hätten wir jeden Tag Gefahrguttransporte durch die Stadt«, erklärt Steck.

Jürgen Steck

Mehr als 100 Tonnen Giftstoffe im Jahr füllen Steck und seine neun Kollegen um. So schonen sie Kanister und Budget – knapp 100.000 Euro seien dadurch 2015 eingespart  orden, sagt Steck. Die Stoffe werden bestmöglich recycelt. Falls sich jemand beim Umfüllen kontaminiert, gibt es in jedem der etwa zehn Räume Augen- und Körperduschen. »Im Notfall ist Wasser das Beste«, sagt Steck und stellt einen der Kanister mit Totenkopf-Symbol  wieder ins Regal. Freunde nennen ihn »U-Boot-Kapitän«. Wer hier arbeitet, ist von der Außenwelt abgeschottet.

Nur wenige Meter weiter geht’s in den verstecktesten Keller des Geländes. Unter dem Zentrum für  Neurowissenschaften liegt ein ehemaliger Atomschutzbunker aus Zeiten des Kalten Krieges. Vier Personen hatten dort für eine Woche Platz. »Welche vier? Der Rektor und seine Familie?«, fragt Steck, der die heikle Frage selbst nicht beantworten kann. Mit einer gigantischen Kurbel hätte man im Ernstfall alle 30 Minuten frische Luft in den Bunker leiten können. Hinter der dicken Stahltüre standen einst Tisch, Stühle und Feldbetten, zudem gab’s ein Plumpsklo. Seit 15 Jahren ist der Bunker außer Betrieb. Heute ist dort der Internetknotenpunkt des Rechenzentrums. Kühl und sicher. Was einst als Zuflucht im Falle eines Atomangriffs diente, soll heute den digitalen Supergau verhindern.

Keine Daten, sondern Laborabwasser laufen in die Neutralisationsanlage des Institutsviertels. Bis zu 200.000 Liter in der Stunde werden dort auf einen neutralen PHWert gebracht. Dann fließen sie ins reguläre Abwassersystem. Die meisten Laborabwasser kommen aus der chemischen Fakultät. Die Anlage aus den 70er-Jahren funktioniere einwandfrei, sagt Steck.

Mit Wasser hat auch der kühlste Keller im Institutsviertel zu tun. Über eine verborgene Treppe geht’s in den 250 Meter langen Infrastrukturversorgungskanal. Optisch könnte der kreisrunde Tunnel locker für einen James-Bond-Dreh herhalten. Selbst Steck ist nicht mit allen  Abzweigungen vertraut. Wo 007 einen kühlen Kopf bewahren müsste, verläuft heute unter anderem ein Kühlwasserkreislauf. Mit kaltem Wasser werden zum Beispiel das Rechenzentrum und die Kristallographie auf Temperatur gehalten. Jedes Gebäude einzeln zu kühlen, wäre viel teurer, sagt Steck. Aus zwei Brunnen können für den Kühlkreislauf jährlich bis zu 720.000 Kubikmeter Wasser entnommen und über einen Schluckbrunnen wieder zurückgegeben werden.

»Wir wollen für alle Wissenschaftler optimale Bedingungen schaffen«, betont Steck. Damit oben alles klargeht, zieht der »U-Boot-Kapitän« die Fäden da, wo es keiner sieht: unter der Erde.

Text & Fotos: Till Neumann