Rathaus überrascht mit 190-Millionen-Euro-Loch STADTGEPLAUDER | 19.07.2016

Es war der 21. Juni, vormittags, Dezernentenkonferenz im Freiburger Rathaus. Ein paar Stunden später sollte der Gemeinderat zahlreiche Beschlüsse fassen. Die Geld kosten. Doch als Finanzbürgermeister Otto Neideck erklärte, dass im laufenden Jahr ein 60-Millionen-Euro-Loch klafft und für den kommenden Doppelhaushalt aktuell sogar 130 Millionen fehlen, blieb mancher Mund offen stehen – und ein Beschluss wurde ausgesetzt: Ob das Jugendkulturzentrum Artik eine neue Bleibe im ADAC-Gebäude am Karlsplatz bekommt. Kritik kam prompt von der Grünen Alternative Freiburg.

Flüchtlingsversorgung und steigende Sozialausgaben führt Neideck im Gespräch mit dem business im Breisgau als Gründe an. Sozialbürgermeister Ulrich von Kirchbach hatte dieser Redaktion Anfang des Jahres erzählt, dass die Kosten für die Flüchtlingsversorgung 2015 und 2016 wohl bei rund 75 Millionen Euro liegen werden. Dass diese aber komplett vom Land übernommen würden. Und auch das zusätzliche Personal für die Betreuung, fortan jährlich gut 8,4 Millionen Euro. „Die Aussagen widersprechen sich nur auf den ersten Blick“, sagt von Kirchbach heute.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann habe zugesichert, dass spitz abgerechnet wird, die Kommunen also das kriegen, was sie ausgeben. Ende September wird die Kämmerei die sogenannte nachlaufende Spitzabrechnung für 2015 ans Land schicken. Und dann hoffen. Das Land wird aber von den 87 Millionen Euro, die die Stadt für die Flüchtlinge in den Jahren 2015 und 2016 tatsächlich aufwenden wird, höchstens 35 Millionen in Neidecks Stadtsäckel stecken. 13,2 Millionen Euro hat Stuttgart mit den Flüchtlingspauschalen bereits bezahlt. Zudem bekommt Freiburg bei den Investitionen nie die volle Summe auf einen Schlag, sondern je nach Dauer der Abschreibung. Werden etwa die rund vier Millionen Euro, die das Rathaus in die Stadthalle gesteckt hat, auf zehn Jahre abgeschrieben, überweist Stuttgart nur 400.000 Euro pro Jahr. „Und die Zeit der Griffelspitzer wird noch kommen“, glaubt Neideck. So seien die 190 Millionen Defizit bis 2018 „keine Schwarzmalerei“, auch wenn, ja, Finanzdezernenten berufsmäßige Ausgaben-Disziplinierer seien. 100 der 190 Millionen verortet Neideck in der Flüchtlingsversorgung.

Selbst wenn das Land bei der Erstunterbringung Wort halte, was er glaube, stelle sich die Frage nach den Kosten für die Folgeunterbringung. Flüchtlinge, die 18 Monate in Freiburg sind, fallen aus dem ersten Topf raus. „Ich fürchte, dass ein Teil dieser Kosten bei den Kommunen hängenbleibt.“

Ohne neue Kredite werde der 2016er Haushalt keinesfalls funktionieren. Die 60 Millionen fürs laufende Jahr seien „sehr realistisch“. Schummelt Neideck bei den Ansätzen? Will er den Gemeinderat beim Geldausgeben disziplinieren und rechnet deswegen den Haushalt eher schlecht? Tatsächlich sprudelten Steu-
ereinnahmen und Zuweisungen vom Land in der jüngeren Vergangenheit zuverlässig kräftiger als in seinen Ansätzen. „Ein klares Nein. Wir rechnen gegenüber dem Ansatz bei der Gewerbesteuer heute schon mit 15 Millionen Euro mehr. Trotzdem haben wir das Loch“, kontert Neideck.

Nicht zuletzt, weil Freiburg gewaltige Investitionen stemmt: Umbau des Rotteck- und Friedrichrings, die Infrastruktur für die Anbindung der Messe und des geplanten Stadions für den Sportclub, der Neubau der Staudinger Schule, die Sanierung des Augustinermuseums, der Umbau der Feuerwache. Die Liste ist lang. Spielräume für neue Projekte, etwa das neue Zuhause fürs Artik oder auch das geplante Außenbecken beim Westbad, gäbe es nicht.

Die Grüne Alternative Freiburg (GAF), Teil der Fraktionsgemeinschaft JPG in Freiburg, kritisierte nach Bekanntwerden der Zahlen die „falsche Gewichtung in der städtischen Finanzpolitik“ von Oberbürgermeister Dieter Salomon und mehreren Fraktionen, die auf „millionenschwere Prestigeobjekte“ gesetzt haben und jetzt den Druck gegen Projekte im Kinder-, Jugend-, Sozial- und Kulturbereich erhöhen würden, etwa beim Artik. Die GAF fordert Rathaus und Fraktionen auf, sich von der „Stimmungsmache zu distanzieren“ und soziale und kulturelle Projekte nicht zu gefährden.

Keine Prestigeobjekte sind in einer wachsenden Stadt steigende Ausgaben: für mehr städtisches Personal, für mehr Kita-Plätze, mehr Ganztagsgruppen für unter Dreijährige, mehr Inklusion,
mehr Hilfe zur Pflege älterer Menschen, mehr Hartz IV und mehr Eingliederungshilfen.

Im Dezember bringt Neideck seinen Doppelhaushalt in den Gemeinderat ein. Der muss auf der Ergebnisseite wohl eine schwarze Null haben, wenn die Stadt aus dem Vermögenshaushalt weiter investieren will – und muss. Denn wer im normalen Tagesgeschäft Miese macht, bekommt seinen Haushalt von der Aufsichtsbehörde, dem Freiburger Regierungspräsidium, in der Regel nicht genehmigt.

So erfolgreich Freiburg den Schuldenberg in den vergangenen zehn Jahren von 336 auf 146 Millionen Euro abgetragen hat, so sehr wird er in den nächsten Jahren wieder wachsen. „Wenn wir nicht aufpassen“, sagt Neideck, „ist die ganze Arbeit in drei Jahren wieder für die Katz.“

Text: Lars Bargmann / Illustration: © iStock.com