Mediziner arbeiten krank: Geplante Reform des Studiums sorgt für Aufruhr STADTGEPLAUDER | 04.01.2017

Krank zur Arbeit? Bei Medizinstudenten im Praktischen Jahr ist das keine Ausnahme. Da kommt eine geplante Reform des Medizinstudiums gerade recht. Doch über den Masterplan Medizinstudium (MM) 2020 wird heftig debattiert. Kritik kommt auch aus Freiburg. Von Studenten und einer Dekanin. Im Fokus auch: die Landarztquote.
 

Lautstark: Freiburger Medizinstudenten demonstrieren für ein besseres Studium.

Lautstark: Freiburger Medizinstudenten demonstrieren für ein besseres Studium.


 
Im Mai gingen deutschlandweit Medizinstudenten auf die Straße. Auch in Freiburg. Etwa 150 Demonstranten zogen durch die Innenstadt. „FairesPJ“ war einer der Slogans. Gemeint ist das Praktische Jahr, das Studierende im letzten Jahr ihrer Ausbildung absolvieren. Anna Meier (Name geändert) kennt das bestens, sie hat ihr PJ an der Uniklinik Freiburg gemacht. „Es kommt sehr auf die Abteilung an, wie es einem PJler geht“, sagt die 27-Jährige. Viele würden ihrem Lehrauftrag nicht gerecht, es gebe kein Konzept, bemängelt Meier. Die Ziele müssten klarer definiert werden.
 
Ein kurioses Problem: Immer wieder müssen sich Studierende krank zur Arbeit schleppen. Denn als PJler habe man nur 30 Tage für Abwesenheit und Krankheit, berichtet Meier. Einige freie Tage brauche man am Ende für die Prüfungsvorbereitung. Krankschreiben lassen könne man sich nicht. Meier selbst blieb gesund, zwei Bekannte brachen sich jedoch jeweils ein Bein und seien halbgesund zur Arbeit gegangen. „Eine Katastrophe“, sagt Meier. Glücklicherweise drückten Kliniken in der Realität oft ein Auge zu. Auch wenn das gegen die Vorschriften sei.
 
„Das PJ ist eine große Baustelle“, sagt Hannah Müller. Die Medizinstudentin im 7. Semester hat den Protest in Freiburg für die Offene Fachschaft Medizin organisiert. Patientengefährdend nennt sie die PJ-Regelung. Zudem sei die Bezahlung von ein paar Hundert Euro bei einer 40-Stunden-Woche zu gering. Man müsse ja noch lernen und habe einen Nebenjob. „Vielleicht ist es ja Teil der Sozialisation, sich kaputtzuschaffen“, schimpft Müller.
 
Lautstark: Freiburger Medizinstudenten demonstrieren für ein besseres Studium.

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Ein weiterer Zankapfel ist die Landarztquote. Damit sollen Studienbewerber bevorzugt werden, die sich verpflichten, nach dem Studium in einer unterversorgten Region zu arbeiten. „Erschreckend“, findet das Müller. „Totaler Schrott“, sagt Kerstin Krieglstein, Dekanin der Medizinischen Fakultät der Uni Freiburg. Sich mit 19 Jahren beruflich festzulegen, was man 15 Jahre später mache, sei politischer Aktionismus. Ein Gutachten zeige, dass man sich später für 180.000 Euro aus der Verpflichtung rauskaufen könne. Sozial ungerecht findet sie das. Auch ein geplantes Pflichtquartal Allgemeinmedizin im PJ missfällt ihr. Eine Qualitätskontrolle sei dabei kaum möglich, da das Quartal in Arztpraxen gemacht werde und nicht in der Uniklinik. Bisher ist das PJ in drei Tertiale aufgeteilt: Chirurgie, Innere Medizin und ein Wahlfach.
 
Krieglstein fordert eine bessere Verzahnung von Theorie und Praxis. Dazu müssten auch die Fakultäten gehört werden. Doch die Minister tagten hinter verschlossenen Türen. „Offenbar gibt es keinen Willen, mit wissenschaftlichen Vertretern zusammenzuarbeiten“, sagt die Dekanin. Das habe seinen Grund: Man arbeite gegen sie.
 
Die Gesundheits- und Wissenschaftsminister von Bund und Ländern sollen die Reform ausarbeiten. Obwohl für Herbst 2016 Konkretes angekündigt war, sind viele Details noch unklar. Dass Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe den MM 2020 bis zur Wahl im Herbst umsetzt, ist fraglich. Auf chilli-Anfrage ans Ministerium heißt es: Die Gespräche laufen. Mehr könne man nicht sagen.
 
Die Bundesvertretung der Medizinstudierenden (BVMD) ahnt taktische Spielchen: „Unsere Befürchtung ist es, dass vor allem aus wahlkampftaktischen Gründen symbol­politische Maßnahmen wie die schon in die öffentliche Diskussion gerückte Pflichtprüfung Allgemeinmedizin oder Landarztquote kommen werden.“ Die gefor­derten Verbesserungen des Studiums ließen dann weiter auf sich warten.
 
Text: Tanja Bruckert und Till Neumann / Fotos: © AG Medizinische Ausbildung der Offenen Fachschaft Medizin