Wohlsortiertes Chaos: Freiburger Tätowierer setzt Geheimnisse einer traditionellen Kunst um STADTGEPLAUDER | 27.04.2017

Im Animationsfilm „Vaiana“ begleitet ein ganzkörpertätowierter Halbgott namens Maui das Mädchen Vaiana auf der Spur zu ihren Ahnen, die vor Jahrtausenden als wagemutige Seefahrer die weite Inselwelt Ozeaniens erforschten.

Auf seiner Haut sind Zeichnungen, die die samoanische Tätowierer-Dynastie Sulu’Ape seit Generationen entwickelt und weitergibt. Der Freiburger Tomasi Sulu’Ape wurde von dieser Familie adoptiert und in die Geheimnisse dieser traditionellen Kunst eingeweiht – er setzt sie in seinem Studio in der Gerberau um.

„Ich war Mitte 20, als ich 1998 dem Mann begegnete, der eine Wende in mein bis dahin einigermaßen unstetes Leben bringen sollte: Paulo Sulu’Ape. Nach langen Aufenthalten in Lateinamerika und Afrika lebte ich damals in Barcelona und war unbewusst auf der Suche nach einem Neubeginn. Ich war sofort fasziniert, spürte, dass diese Begegnung eine Chance war, alles hinter mir zu lassen.

Ein Jahr später folgte ich seiner Einladung nach Neuseeland, doch da lebte er nicht mehr. Freunde Paulos tätowierten mich, stellten den Kontakt zu seinen weitverzweigten Angehörigen auf der samoanischen Insel Upolu her. Hier freundete ich mich mit Paulos Bruder Aleivaa an – ebenfalls ein Meister der Tätowierkunst. Wie es in Samoa üblich ist, nahm er mich Heimatlosen in seine Familie auf, lehrte mich, die Bedeutung der „Tatau“ zu erkennen und die strengen Gesellschafts- und Standesregeln zu akzeptieren.

Mir tat das gut, ich blieb und wurde Lehrling. Der älteste Bruder, Petelo Sulu’Ape, nahm mich dann als Sohn an und sorgte für meine Registraturpapiere, die mich außer den Tatoos als Mitglied dieser großartigen Familie ausweisen.

Und ich lernte, selbst zu tätowieren. Lernte, dass keines dieser aus unzähligen grafischen Zeichen sowie stilisierten Tieren und Pflanzen zusammengesetzten Motive einfach nur Schmuck oder gar Zufall ist. Ja, dass selbst die Anordnung der Striche etwas aussagt über den Menschen, der die Zeichnung trägt – über seinen Werdegang, seine Rolle in der Community. In Samoa haben die Tätowierer eine wichtige spirituelle Aufgabe: Sie sortieren die in dem göttlichen Chaos angelegten Lebensmuster, die jeder Mensch in sich trägt, und machen sie auf dem Körper sichtbar.

Dazu muss man sich ganz auf diese Person einlassen, ihr Innerstes erspüren, ihre Unstimmigkeiten erkennen. Das geschieht natürlich nicht erst im Schmerzreflexionsprozess, sondern schon während der vertrauensbildenden Vorbereitung auf den gemeinsamen Weg, der oft Wochen dauert. Ich sehe mich in dieser identitätsstiftenden Tradition, will sie weiterführen. Mit den uralten Instrumenten meines Vaters.“

Aufgezeichnet von Erika Weisser / Foto: © Erika Weisser