Mit Sonnenbrille mehr sehen? Nach 100 Jahren kehrt Hölzels Kreis nach Freiburg zurück Kultur | 22.11.2017 | Tanja Senn

„Ein Highlight“. „Eine Ausstellung, wie wir sie nicht alle Jahre haben“. „Werke von bahnbrechender Bedeutung“. Die Städtischen Museen Freiburg üben sich in Lobeshymnen, wenn es um ihre neue Ausstellung im Augustinermuseum geht.

Dabei ist die Rede nicht gerade von einem A-Promi der Kunstwelt: Adolf Hölzel ist eher als Lehrer berühmter Schüler bekannt, denn als Künstler selbst. Die Ausstellung „Im Laboratorium der Moderne. Hölzel und sein Kreis“ will sich auf beide Aspekte konzentrieren. Präsentiert werden daher auch Werke seiner Schüler Willi Baumeister, Johannes Itten, Ida Kerkovius, Oskar Schlemmer und Hermann Stenner. Hölzels Kreis war schon einmal Mittelpunkt einer Freiburger Ausstellung – vor rund 100 Jahren.

Ein zwölffarbiger Kreis zieht sich über den gesamten Boden des Ausstellungsraums. Den meisten Besuchern dürfte er bekannt vorkommen: Schon auf den Ankündigungsplakaten und Flyern ist dieser symbolische „Hölzel-Kreis“ dargestellt. Man merkt: Die Beschäftigung mit Farbe spielte eine große Rolle bei den Wegbereitern der Moderne. Ebenso wie die Liebe zur Abstraktion. Damit war Hölzel seiner Zeit einen großen Schritt voraus: Bereits 1905 schuf er mit seiner „Komposition in Rot I“ ein Werk, das heute als wichtiger Schritt in die Gegenstandslosigkeit angesehen wird.

Dass neue, moderne Denkrichtungen nicht überall auf Gegenliebe stoßen, versteht sich. Auch in Freiburg, wo Hölzel und seine Schüler 1916 ihre erste umfassende Ausstellung hatten, wehte ein steifer Gegenwind. „Dass mitten im Ersten Weltkrieg in der katholisch-konservativen Universitätsstadt Freiburg eine Avantgardegruppe ausstellte, war außergewöhnlich“, sagt Kuratorin Verena Faber vom Museum für Neue Kunst. Wie außergewöhnlich, zeigen Pressestimmen, die Faber und ihr Team für die Ausstellung herausgesucht haben. So wetterte die Süddeutsche Zeitung etwa gegen die jüdisch-feministische Kunst, die im neu eröffneten Freiburger Kunstverein gezeigt wurde.

Hat viel Herzblut investiert: Kuratorin Verena Faber.

21 progressive Künstler stellten damals rund 100 Kunstwerke aus. 15 dieser Werke finden nun zum zweiten Mal den Weg nach Freiburg. Ein halbes Jahr lang haben die Museumsmitarbeiter recherchiert und ausgehend von der damaligen Werkliste geprüft, welche Werke heute noch verfügbar sind. Mehr als 160 Leihgaben – darunter auch einige aus Privatsammlungen – sind so zusammengekommen. Sie sind der Grund, warum die Ausstellung, die vom Museum für Neue Kunst konzipiert wurde, im Untergeschoss des Augustinermuseums zu sehen ist: Strenge Anforderungen an die Luftfeuchtigkeit schließen eine Schau im Museum in der Marienstraße ohne seine Klimatechnik aus.

Günstig sind die Leihgaben, Transporte und Versicherungen nicht: Eine halbe Million Euro beträgt das Budget der Ausstellung. Etwa zwei Drittel stammen aus den Töpfen der Städtischen Museen, den Rest finanziert die Ernst von Siemens Kunststiftung. Highlight der Ausstellung sind – obwohl sie nicht einmal zu den wertvollsten Werken der Ausstellung gehören – die Bahlsen-Fenster. Drei der abstrakten Glasfenster, die Hölzel für den Sitzungsraum der Keksfabrik gestaltet hat, sind nun erstmals außerhalb ihres angestammten Platzes zu sehen.

Auch Werke seiner Schüler wie die „Komposition mit Badenden“ von Alfred Heinrich Pellegrini sind zu sehen.

Der hintere Teil der Ausstellungshalle widmet sich Hölzel als einem der einflussreichsten deutschen Kunstpädagogen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aus seinen Unterrichtsmaterialien wird ersichtlich, welch unkonventioneller Lehrer er war. Seine Schüler hielt er dazu an, die künstlerischen Mittel Linie, Farbe und Form selbst zu erforschen. „Und das mit teils ungewöhnlichen Methoden“, führt Faber aus. „Da wurden mit Kaffeebohnen Flächen geplant oder er hielt seine Schüler dazu an, Sonnenbrillen für ein flächigeres Sehen zu tragen.“ Seine modernen Lehrmethoden waren gefragt: Hölzels Ruf zog Schüler aus verschiedenen Ländern Europas an. So soll im Herbst 1913 ein junger Schweizer Kunststudent für Hölzels Unterricht zu Fuß von Basel nach Stuttgart gepilgert sein. Sein Name: Johannes Itten.

Info

Adolf Hölzel, 1853 in Olmütz geboren, lehrte ab 1905 an der Königlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Aufgrund seines unkonventionellen Unterrichts mit Raum zur freien Entfaltung wurde sein Atelier auch als Laboratorium bezeichnet. Damit etablierte er neben den Künstlergruppen „Die Brücke“ in Dresden und „Der Blaue Reiter“ in München ein weiteres Zentrum der Moderne.

Hölzel mit seinen Schülern Anfang 1914.

Zu seinen Schülern gehörten Künstler wie Willi Baumeister, Johannes Itten oder Oskar Schlemmer. Zudem unterhielt er in einer Zeit, in der Frauen noch kaum Zugang zu Akademien hatten, eine „Damen-Malklasse“, in der er unter anderem seine Meisterschülerin Ida Kerkovius förderte. Hölzel starb 1934 im Alter von 81 Jahren in Stuttgart.

Fotos: © Sammlung Bunte; tas; Alfred Heinrich Pellegrini; Adolf Hölzel-Stiftung Stuttgart; Verena Faber