Blogger Bob Blume über die Tücken des Bildungssystems f79 – das Jugendmagazin | 15.10.2022 | Till Neumann, Philip Thomas, Pascal Lienhard, Jennifer Patrias
Schule steht für viele auch für Frust. In Worte gefasst hat das der südbadische Lehrer und „Blogger des Jahres“ Bob Blume mit einem Buch. Im Interview mit f79-Redaktionsleiter Till Neumann erklärt er, was ihn stört und warum er trotzdem Hoffnung hat. Die f79-Redaktion hat dazu aufgeschrieben, was ihr an der Schule in bester Erinnerung geblieben ist.
„Fataler Fehler“
„Blogger des Jahres“ Bob Blume kritisiert das Schulsystem
Zu viel Stoff, überflüssige Noten, verkrustete Strukturen. Der Ortenauer Lehrer Bob Blume lässt kein gutes Haar am Schulsystem. Mit dem Buch „10 Dinge, die ich an der Schule hasse“ hat der 39-jährige „Blogger des Jahres 2022“ einen Nerv getroffen. Im Interview mit Till Neumann fordert er ein Umdenken.
f79: Herr Blume, das Schuljahr ist geschafft. Wie schlimm war es?
Blume: Auf Twitter haben mir 90 Prozent der Leute geschrieben, dass es das schlimmste war, seit sie an den Schulen sind. Es sind zwei Dinge zusammengekommen: Erstens ist immer noch pandemischer Ausnahmezustand. Zweitens muss Schule aber funktionieren wie immer. Man ist unter dem ständigen Druck, dass man mehr machen muss – zum Beispiel Tests. Gleichzeitig passiert nichts, um das Ganze zu entlasten. Es gab auch unheimlich schöne Momente. Man muss sich aber durch ein Meer von Unzulänglichkeiten kämpfen, um zu dem Punkt zu kommen.
f79: Sie kreiden einen „Stofffetisch“ an. Haben Sie den Lehrplan durchbekommen?
Blume: Ne, aber ich glaube, das kriegt keiner hin. Die Frage ist ja immer: Was ist Stoff? Grundlegende Kompetenzen müssen gefördert werden: lesen, schreiben, rechnen. Als Lehrer plant man, was man umsetzen will. Wenn man aber merkt, die sind einfach noch nicht so weit, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Ich ziehe einfach durch und verliere die Hälfte. Oder ich nehme mir so viel Zeit, bis es auch der Letzte verstanden hat. Das präferiere ich. Ich kreide der Schulbürokratie an: Es wird zwar behauptet, die Schülerinnen und Schüler seien so wichtig. Aber was geschieht, um sie auch mal zu entlasten?
f79: Ist die Alternative, sich einfach aufs Wesentliche konzentrieren?
Blume: Das kann man so sagen. Wir stehen vor der Situation, dass viele rückblickend ihre Schulzeit als völlig sinnlos betrachten. Ich glaube, das liegt daran, dass wir immer mehr machen müssen. Schule müsste sich grundsätzlich mehr damit beschäftigen, warum Dinge relevant sind. Wenn die Antwort ist: Wir machen das, weil ich das sage oder weil es sich jemand ausgedacht hat. Dann sollte man klar überlegen, ob das noch in die Bildungspläne reingehört.
f79: Was braucht es also?
Blume: Wir brauchen eine nationale Bildungsvision. Was wollen wir mit Bildung überhaupt? Bildung wird oft unter der Kategorie Nützlichkeit betrachtet. Das ist nachvollziehbar, aber ein fataler Fehler. Die Frage ist: Wie schaffe ich es, in der Schule so zu lernen, dass ich danach weiterlernen möchte? Wenn wir nur noch Businessenglisch machen und für Wirtschaft Gemeinschaftskunde rauskicken, dann haben wir viele nützliche Drohnen, die nach Hause kommen, aber nicht wissen, was sie mit sich anfangen sollen. Erklären, warum etwas wichtig ist, bedeutet nicht zwangsläufig, dass alle sofort sagen, ich kapiere es und jetzt finde ich es super. Es kann auch heißen: Ey, ich kapiere es und finde es trotzdem noch doof. Das Warum hat sich in Schulen aber zunehmend abgekoppelt.
f79: Gibt es dennoch etwas, das sie hoffen lässt?
Blume: Die Schüler. Wenn sie frei arbeiten können, zum Beispiel in der Theater AG – dann wird klassenübergreifend gelernt oder auch ohne Ende auswendig gelernt. Da sieht man, wie junge Leute innerhalb von einem Jahr über sich hinauswachsen. Haltung, Stimme, Perspektive … Wenn man Schüler fordert, ihnen Vertrauen schenkt, dann entstehen wunderbare Sachen. Aber dafür muss man sie halt auch lassen.
Zocken, pauken, Sprüche merken
7 Dinge, die die f79-Redaktion an Schule cool findet
Das Kennenlernen der verschiedensten Leute: In den wenigsten Lebensabschnitten werden so viele Leute mit so unterschiedlichen Persönlichkeiten, Überzeugungen oder Hobbys in einen Raum gesteckt. Im besten Falle übt man damit schon als Schüler*in früh ein Maß an gegenseitiger Toleranz ein. (pl)
Klassenfahrten: Für jeden war ein passendes Ziel dabei und durch die Vermischung der Klassenstufen hatte man die Möglichkeit, sich auch mal mit Klassenkameraden anzufreunden, mit denen man sonst keinen Kontakt hatte. (jp)
Kumpels treffen: Weggefährten und Leidensgenossen – für jeden Spaß in und außerhalb der Klassenzimmer zu haben. Einige Freundschaften halten bis heute. (pt)
Freizeit: Die Freizeit, die man während der Schulzeit hat, ist das Schönste, was es gibt. Das lernt man meist aber erst im Berufsleben schätzen. (jp)
Zocken in der Pause: Fußball bis zum nächsten Gong, 5 gegen 5 mit nem Tennisball. Ging hoch her und machte das lange Sitzen danach erträglicher. (tln)
Sprachen lernen: Mein Französisch hat mir viele Türen geöffnet. Was ich da gelernt habe, konnte ich auf Reisen direkt anwenden. Praxistauglichkeit: 100. (tln)
Ein Grundstock an Allgemeinbildung: Ich bin ehrlich, ich habe seit rund zehn Jahren weder Ableitungen noch Quantenmechanik in meinem Alltag gebraucht. Dennoch kommt ein großes Maß meines Wissens aus der Schule. Bis heute denke ich bei den Himmelsrichtungen an den alten Spruch „Nie ohne Seife waschen“ (Nord, Ost, Süd, West). Und von vielen Themen, mit denen ich mich im Studium ausführlichst beschäftigt habe, habe ich zuerst in der Schule gehört. (pl)
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