Kino-Rezi: Morgen ist auch noch ein Tag: Szenen einer Ehe Filmtipp | 19.03.2024 | Erika Weisser

Italien, im Sommer 1946: Das Land erholt sich allmählich von Mussolinis viel zu lange währendem Schreckensregime, von den Folgen der deutschen Besatzung und dem Krieg, von denen die US-Army die Menschen schließlich befreite. Doch während trotz allgemeiner Armut und allenthalben patrouillierender GIs ein gesellschaftlicher Aufbruch zu spüren ist, bleibt die nicht zuletzt auch von der faschistischen Ideologie geförderte Machoherrschaft beinahe uneingeschränkt bestehen: Italien ist noch nicht Republik, und Frauen haben keine eigenen politischen Rechte. 

Unter dieser Rechtlosigkeit leidet auch Delia. Sie ist noch keine 40 und lebt mit ihrer fast erwachsenen Tochter Marcella, zwei jüngeren Söhnen, ihrem Ehemann Ivano und dessen Vater Ottorino in einer ärmlichen Kellerwohnung in Rom. Sie versorgt den Haushalt und die Kinder – und pflegt nebenbei auch noch den ans Bett gefesselten unausstehlichen Schwiegervater, der, wenn sie sich ihm zwangsläufig nähert, seine Hände nicht bei sich behalten kann. Und der sie ansonsten streng überwacht.

Natürlich muss Delia auch dem unberechenbaren Ivano stets ungefragt zu Diensten sein. In der Küche, am Tisch und im Bett. Zwar geht er tagsüber einer Arbeit nach, doch darf sie nur mit seiner Erlaubnis die Wohnung verlassen und muss genaue Rechenschaft ablegen über alles, was sie während seiner Abwesenheit getan hat. Und sie muss das Geld, das sie in verschiedenen hoffnungslos unterbezahlten Nebenjobs müh­sam erarbeitet, vollständig bei ihm abliefern, darf nichts davon für sich selbst verwenden – oder für Marcella, der sie gerne die weiterführende Schule bezahlen würde. Die darf sie im Gegensatz zu ihren Brüdern nämlich nicht besuchen – auf Verfügung des Vaters.

Zwar findet Delia immer wieder kleine Fluchten aus der allgegenwärtigen Bedrohung und Enge – sie tauscht sich mit ihrer  ziemlich emanzipierten Freundin Marisa aus, mit der sie gelegentlich heimlich eine Zigarette raucht, sie sucht Begegnungen mit ihrer Jugendliebe Nino und sie freundet sich aus Zufall mit dem afroamerikanischen Soldaten William an. Doch erntet sie dafür noch mehr Gewalt: Als sie ihren Kindern die von William geschenkte Schokolade anbietet, wird sie von Ivano so heftig verprügelt wie nie zuvor. Aus Liebe, wie er sagt – einer Liebe, die er „trotz allem“ immer noch für sie habe. 

Trotz allem? Delia tut nichts anderes als brav und folgsam zu funktionieren, nimmt die Gewalt, die Misshandlungen hin und versucht, alles zu vermeiden, was seinen Jähzorn schüren könnte. Dann erhält sie unverhofft einen Brief, dessen Inhalt sich erst am Ende des Films offenbart, der aber ziemlich viel auf den Kopf stellt und schließlich für eine überraschende Wendung sorgt. 

Großartiges feministisches Kino, sehr italienisch und neorealistisch.

Morgen ist auch
noch ein Tag Poster

Morgen ist auch noch ein Tag 
Italien 2023
Regie: Paola Cortellesi
Mit: Paola Cortellesi, Valerio Mastandrea, Romana Maggiora Vergano, Vinicio Marchioni u.a.
Verleih: Tobis
Laufzeit: 114 Minuten
Start: 4. April 2024

Fotos: © Tobis