Einen Ticken Romantik: Schäfer sind mit allen Sinnen Ausbildung & Arbeit | 02.11.2022 | Amelie Breitenhuber (dpa)/BZ

Tobias Dommershausen beim Schafe hüten

Werden Berufe übermäßig verklärt, hat das meist nicht mehr viel mit der Arbeitsrealität zu tun. Den Schäferberuf aber würde es ohne etwas Romantik vielleicht gar nicht mehr geben. Denn mit hohem Einkommen, Prestige oder viel Freizeit können angehende Schäferinnen und Schäfer nicht rechnen. Was aber bringt sie dazu, das Hüten dennoch zum Job zu machen?

Tobias Dommershausen ist in einen Schäferbetrieb hineingeboren. Der 24-Jährige ist im dritten Lehrjahr und kurz vor Abschluss seiner Ausbildung zum Tierwirt, Fachrichtung Schäferei. „Für mich ist das der Familienberuf, ich möchte die Tradition weitertragen.“ Er hat sich für einen Beruf entschieden, in dem er auf lange Urlaube verzichten muss. „Schäfer ist man 365 Tage im Jahr.“

Es verwundert nicht, dass viele Schäfereibetriebe Nachwuchssorgen haben. „Wir haben zwar viele Menschen, die sich für den Beruf interessieren“, sagt Günther Czerkus vom Bundesverband Berufsschäfer. „Es gibt aber zwei Knackpunkte, die Interessenten wieder abschrecken.“ Das seien zum einen die Erwerbsaussichten. „Wenn jemand mit dem Berufswunsch Schäfer auf mich zukommt, dann frage ich zuerst: Traust du dir zu, von 1100 bis 1200 Euro im Monat eine Familie zu ernähren?“ Der zweite Punkt, an dem viele sich vom Schäferberuf verabschieden, sei „die unglaublich überbordende Bürokratie“, so Czerkus. Schäfer sind Bindeglied zwischen Naturschutz und Landwirtschaft. Das heißt, sie müssen Naturschutz- und auch Agrarförderungsauflagen bedienen. Dem Verbandsvorsitzenden zufolge ist mit Beginn der nächsten Förderperiode „ein Sprung bei der Entbürokratisierung“ zu erwarten. Die Digitalisierung spiele dabei eine Rolle. Anstatt einem händisch geführten Weidetagebuch etwa könnte die Arbeit künftig relativ einfach mittels Vorher-Nachher-Fotos mit Geo-Koordinaten, Datum und Uhrzeit dokumentiert werden. Auch in Sachen Arbeitsorganisation soll es Verbesserungen geben. Eine Möglichkeit sei, die Pflege von Sonderflächen und Naturschutzgebieten zu kombinieren, so Czerkus. Im Solarpark beispielsweise müsse man nicht rund um die Uhr anwesend sein, um die Schafe zu hüten. „Dann kann man auch am Wochenende mal etwas machen. Mein Leben besteht dann nicht nur aus Arbeit.“

Dommershausen betreut im Betrieb seines Vaters mit fünf weiteren Mitarbeitern drei Herden. Für den 24-Jährigen beginnt der Arbeitstag meist um 7 Uhr morgens. Dann fahre er 100 Kilometer zur Herde. Dort ist es sein Job, die Zäune und die Tiere zu kontrollieren. Dann lässt er die Hunde raus und hütet die Herde für fünf bis sechs Stunden. „Da ist nicht jeder Tag gleich.“ Mal sei eines der Schafe krank, mal lammt ein Tier.

Wenn man als Schäfer auf der Weide steht, habe man keine Minute Freizeit, man müsse erspüren, was die Tiere gleich vorhaben werden, sagt Czerkus. „Das kann ich nur, wenn ich aufmerksam mit allen Sinnen bei den Tieren bin.“ Angehende Schäfer wie Dommershausen lernen in ihrer Ausbildung außerdem, worauf es bei der Beweidung verschiedener Flächen ankommt. Welche Pflanzen sind für die Schafe giftig? Wie hirtet man Flächen so aus, dass man Naturschutzzielen gerecht wird?

Die Arbeitsbedingungen sieht Dommershausen pragmatisch. Er ist gerne in der Natur. „Ich kann einfach nicht den ganzen Tag an einem Computer sitzen.“ Wer sich für den Beruf interessiert, müsse viel Motivation und einen starken Willen mitbringen. „Wir sind im Winter bei minus 10 und im Sommer bei plus 35 Grad draußen.“ Schäfer sein, das geht also nur, wenn man Freude daran hat, eine Herde zusammenzuhalten. „Wir sind Personalmanager, Diagnoseassistenten für den Tierarzt, Nahrungsmittelerzeuger und agrarökologische Dienstleister“, sagt Czerkus. „Wenn man einmal gelernt hat, wie man sich beim Hüten einer Schafherde erden kann, dann kann man es nicht mehr lassen.“

Foto © Henning Kaiser (dpa)