Beschwerliche Schulwege: Filmgespräch mit der Regisseurin von "Nicht ohne uns!" Kinonews | 22.01.2017

Manche Kinder fahren auf Skiern zur Schule, andere reiten auf einem Esel, die nächsten gehen kilometerweit zu Fuß, wieder andere fahren stundenlang – und mit zahlreichen Umstiegen – per Bahn, Bus oder Metro. Manche können, wenn sie genug Geld haben, den Schulbus nehmen. Und dann gibt es eben immer wieder auch Kinder, die gar nicht in die Schule gehen. Die nicht können, weil sie viel zu weit weg ist. Oder nicht dürfen.

Delphine ist eines von diesen Kindern. Sie hat keine Eltern mehr, wohnt bei ihrer Tante in einem Dorf im westafrikanischen Land Elfenbeinküste – und muss zu Hause so viel mitarbeiten, dass ihr keine Zeit für die Schule bleibt, obwohl sie gerne hingehen würde. Denn sie will etwas lernen, am liebsten würde sie Friseurin werden. Sie kommt in Sigrid Klausmanns Dokumentarfilm immer wieder ins Bild, ist bei ihrer täglichen Haus- und Feldarbeit zu sehen – und dabei, wie sie gleichaltrigen Mädchen in Schuluniform traurig und sehnsüchtig nachschaut.

Delphine ist eine von 16 Jugendlichen, mit denen die aus Furtwangen stammende Regisseurin ins Gespräch kam – über ihre Jetzt-Zeit sowie die Hoffnungen und Träume, die sie von ihrer Zukunft haben. In 14 Ländern der Erde war Sigrid Klausmann unterwegs; im Film beginnt ihre Erkundungsreise in den österreichischen Alpen, wo Vincent fernab der nächsten Ortschaft mit seinen Eltern auf eine Berghütte lebt – und, bevor er sich auf den Weg durch den Schnee macht, ein Antwortgerät für Lawinensucher umschnallen muss. Später führt ihr Weg sie außer zu Delphine auch zu Luniko, der in einem südafrikanischen Township wohnt und auf seinem schier endlosen Schulweg zwar nicht vor Lawinen Angst haben muss. Sondern davor, an diesem „gefährlichsten Ort der Welt“ überfallen zu werden.

Vorher war Klausmann aber noch in New York, bei Sai, der Tochter indischer Einwanderer – und bei Sanjana, die weniger Glück hatte: Sie lebt im Rotlichtviertel einer indischen Stadt, wo sie täglich mit Prostitution, Gewalt und Menschenhandel konfrontiert wird und „immer heilfroh“ ist, wenn sie unbehelligt in der Schul bzw. wieder zu Haus ankommt. Gerade an diesen beiden indischen Mädchen wird deutlich, welch wichtige Rolle die äußeren Bedingungen spielen für die Gleichheit oder Ungleichheit von Bildungschancen – und damit auf ein Leben, das den kindlichen Wünschen und Vorstellungen nahe kommt. Unterschiede, welche Ungleichheit von äußeren Bedingungen verursacht werden.

Denn es wird deutlich, dass die Deutsche Finya, die per Longboard zur nahen Schule rast, sich weniger Sorgen um die Zukunft machen muss als das Beduinenmädchen Ekhlas aus Jordanien, deren Schulzeit allein schon durch die immer weiteren Wege zu den Wasserstellen verkürzt wird. Oder als der Iraker Jafer, der wegen immer wieder aufflackernder kriegerische Auseinandersetzungen in seinem Land oft einfach aus Sicherheitsgründen nicht in die Schule geht. Oder To aus Laos, der nicht die Schule schwierig findet, sondern die fast dreistündige Reise mit dem Boot über den Mekong und im Tuk-Tuk-Bus durch unwegsames Gebiet. Hin und zurück.

Wie bereits erwähnt hat Sigrid Klausmann noch mehr Schüler besucht, in Peru, Island, der Schweiz, Japan, Argentinien und anderen Ländern. Und sie hat festgestellt –und dies in ihrem Film auch sehr eindrücklich dargestellt, dass sie, bei allen Unterschieden auch viel gemeinsam haben: die universelle Sehnsucht nach Sicherheit und Frieden, Glück, Freundschaft und Liebe. Sie eint die Ablehnung und die Angst vor Krieg und Gewalt. Und alle machen sich Sorgen um die Natur und die damit verbundene Zerstörung ihres direkten und indirekten Lebensraums. Ein Film, der somit auch ein wenig Hoffnung zulässt: in den Händen dieser Generation liegt schließlich nicht nur ihre eigen, sondern die Zukunft des ganzen Planeten.

Der Film ist seit Donnerstag, 19.Januar im Kino Friedrichsbau zu sehen; am Dienstag, 24. Januar, 18.30 Uhr, gibt es eine Vorführung in Anwesenheit von Sigrid Klausmann. Mit anschließendem Gespräch.

Text: Erika Weisser / Fotos: © farbfilm Verleih

Nicht ohne uns!
Deutschland 2016
Regie: Sigrid Klausmann
Dokumentation
Verleih: farbfilm
Laufzeit: 87 Minuten
Kinostart: 19.Januar 2017
Filmgespräch mit der Regisseurin: Dienstag, 24. Januar, 18.30 Uhr, Friedrichsbau
Link zum Trailer: www.farbfilm-verleih.de