Angst vor Dämonen – Porträt der Künstlerin Niki de Saint Phalle geht unter die Haut Kinonews | 20.03.2025 | Erika Weisser

Im ganzen Film ist keine einzige ihrer weltberühmten Nanas zu sehen, auch kein anderes Werk aus Niki de Saint Phalles vielfältigem und oft hart erkämpftem künstlerischen Schaffen. Und auch keiner der skurrilen Bewegungsapparate, die ihr Künstlerkollege, Inspirator und zweiter Ehemann Jean Tinguely konstruiert hat. Dennoch wird das Kinopublikum Zeuge der Entstehung der einen oder anderen Skulptur: Etwa, wenn die metallischen Geräusche ineinandergreifender Zahnräder zu hören sind. Oder wenn die großartig spielende Charlotte Le Bon in der Rolle der Künstlerin mit einem Gewehr auf ein nicht sichtbares Objekt zielt und schießt. Oder sie das Unsichtbare geradezu panisch mit Messern, Äxten und anderen Wurfgeschossen malträtiert.
Die Dämonen, mit denen Niki de Saint Phalle bis zu diesen Ausbrüchen zu ringen hatte, waren auch für sie lange unsichtbar. Doch sie erscheinen nach und nach im ersten Film-Kapitel, das den Titel „was Niki nicht mehr weiß“ trägt und in den 1950er-Jahren spielt: Nachdem die junge, zerbrechlich und verletzlich wirkende Frau nach einem Zusammenbruch in einer psychiatrischen Klinik landet und dort mit Elektroschocks behandelt und völlig isoliert wird, erinnert sie sich irgendwann vage an ein geheimnisvolles Gartenhaus, an einen strafenden Vater, an ihre unsagbare Angst, an eine eifersüchtige Mutter.
Bei ihren einsamen Spaziergängen im Park des Sanatoriums begegnet sie einem Patienten, der seine Erfahrungen in vielfarbiger Kunst verarbeitet. Sie ist sofort fasziniert, beginnt Collagen aus allen möglichen Fundstücken zu fertigen. Obwohl ihr eine Kunsttherapie zunächst verweigert wird, kämpft sie ihrem Arzt, ihrem sie sehr unterstützenden ersten Ehemann und schließlich sich selbst die Darstellung ihrer inneren Abgründe ab. Mühsam und mit vielen Rückschlägen bahnt sie sich ihren Weg zu einer der eigenwilligsten, kompromisslosesten und bedeutendsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts.
Mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln wehrt sie sich gegen jede Form der Unterdrückung, die sie selbst erleiden musste und muss. Kunst wird für sie im Wortsinn zur Waffe: Sie schafft aus Verletzung und Zerstörung etwas faszinierend Neues, erfindet sich selbst neu. Dass sie dabei immer noch von Angst getrieben ist, wird in einem kurzen Dialog mit ihrem kleinen Sohn deutlich: Als er ihr vor dem Schlagengehen sagt, dass er Angst vor Monstern habe, antwortet sie: „Ich auch.“
Mit dem anrührenden, doch an keiner Stelle kitschigen und bei aller Abgründigkeit sehr farbenfrohen Film ist der Regisseurin Céline Sallette etwas ganz Besonderes gelungen: ein fundiertes und überzeugendes Porträt der Künstlerin Niki de Saint Phalle, das auch ihrer Persönlichkeit und ihren Antrieben sehr nahe kommt.
Niki de Saint Phalle
Frankreich, Belgien 2024
Regie: Céline Sallette
Mit: Charlotte Le Bon, John Robinson, Damien Bonnard, Judit Chemia, Alain Fromager u.a.
Verleih: Neue Visionen
Laufzeit: 98 Minuten
Start: 20. März 2025