Das Leben in der Knopfhäusle-Siedlung STADTGEPLAUDER | 17.11.2016

Zwischen der verkehrsreichen Schwarzwaldstraße, den riesigen Schulgebäuden an der Schützenallee und dem geschäftigen neuen Viertel auf dem Alten Messplatz wirkt die kleine Knopfhäusle-Siedlung wie eine idyllische Oase aus vergangener Zeit: Schlichte, teilweise bunt bemalte Holzzäune umgeben vier zweigeschossige Häuserreihen mit den individuell gestalteten Vorgärten, in denen sich viel Leben abspielt. Zumindest im Sommer: Da sind die Bewohner der insgesamt 102 engen Häuschen, wenn sie vor der Haustür noch ein zusätzliches Wohnzimmer haben. Sie sitzen zwar ziemlich nah beieinander, doch das sind sie gewöhnt, denn sie leben das ganze Jahr dicht an dicht, kriegen wegen der dünnen Wände zwischen den Wohneinheiten sowieso alles mit, was nebenan geschieht.
 

Irgendwo zwischen Idylle und Verfall: Die Knopfhäusle-Siedlung.

Irgendwo zwischen Idylle und Verfall: Die Knopfhäusle-Siedlung.


 
Etwa 250 Menschen wohnen hier in der Siedlung, die der Porzellanknopf-Fabrikant Jeremias Risler erbaute (siehe Infobox). Knopfhäusle nennt man sie nicht nur, weil die Männer als Knopfbrenner bei Risler arbeiteten, sondern auch, weil die Frauen die Knöpfe in Heimarbeit auf Hochglanz polierten. Offenbar taten sie das auch gerne in ihren Nutzgärtchen: Edgar Neudeck, der 1944 hier als ältester von vier Geschwistern zur Welt kam, erinnert sich heute, dass er als Kind immer wieder ausgemusterte Knöpfe „aus der Vorgartenerde wühlte“. Erst dienten sie zum Spielen, später halfen sie beim Rechnen.
 
Ein großer Teil seiner Familiengeschichte trug sich in diesem seit 1983 wegen seiner „vielfältigen Aussagekraft für Freiburgs Entwicklung im 19. Jahrhundert“ denkmalgeschützten Quartier zu. Obwohl seine Vorfahren nicht in der Knopffabrik arbeiteten: Als seine Großeltern in das Knopfhäusle zogen, in dem er heute noch lebt, gehörte das gesamte Areal schon der Stadt Freiburg. Sie hatte es 1928 gekauft, nachdem Produktion und Verwaltung des Unternehmens nach und nach in die Rheinische Perlen- und Porzellanknopffabrik bei Aachen verlegt worden war, die Rislers Sohn Emil 1910 erworben hatte.
 
Der Künstler Adil Kar (unten) belebt das Haus mit Skulpturen und Bildern.

Der Künstler Adil Kar (unten) belebt das Haus mit Skulpturen und Bildern.


 
Wegen des dadurch sinkenden Bedarfs an Werkswohnungen wurden ab 1912 auch Firmenfremde in die Siedlung aufgenommen. So trafen die aus Mulhouse stammenden Neudecks bei ihrem Einzug 1930 nur noch auf städtische Mieter, unter denen natürlich auch Nachkommen der mit Wohnrecht ausgestatteten Knopffabrik-Arbeiter waren.
 
Damit begann die Durchmischung des Viertels, die bis heute anhält. Die jetzigen „Knopfhäusler“ setzen sich zusammen aus einer Handvoll Nachfahren der „Ureinwohner“, aus vielen Altfreiburgern und einigen Zugezogenen, aus Heimatsuchenden – und so manchem Gestrandeten. Eins haben alle gemeinsam: Sie haben nicht viel Geld. Manche leben am Existenzminimum, andere unter der Armutsgrenze. Rentner sind es, Minijobber, Kranke, Ausgepowerte, Arbeitslose, Alleinerziehende, Geringverdienende, Abenteurer, Sozialarbeiter, Künstler – Lebenskünstler vor allem. Allein oder in Familien. Und mit Hunden.
 
Irgendwo zwischen Idylle und Verfall: In der Arbeitersiedlung warnt schon mal ein Schild vor einem Absturz.

Irgendwo zwischen Idylle und Verfall: In der Arbeitersiedlung warnt schon mal ein Schild vor einem Absturz.


 
Die bald 80-jährige frühere Kellnerin Priska Gallinger, die 1991 mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann und dem jüngsten ihrer vier Kinder hierher zog, findet, dass „inzwischen mehr Hunde als Kinder herumrennen“. Dabei hat sie selbst einen.
 
Trotz eines Schlaganfalls versorgt sie sich selbst – und ihren Untermieter gleich mit. Sie holte ihn ins Haus, weil ihre schmale Rente für die Miete nur knapp reicht, auch wenn diese in ihrem Fall recht günstig ist, da sie schon so lange dort wohnt. Der Mitbewohner lebte auch in einem Knopfhäuschen; jetzt zahlt jeder nur noch eine halbe Miete – und eine günstige Sozialwohnung „wurde für jemand anderen von der Warteliste frei“.
 
Adil Kar belebt das Häuschen - das er auch als Malerwerkstatt benutzt - mit Skulpturen und Bildern.

Adil Kar belebt das Häuschen – das er auch als Malerwerkstatt benutzt – mit Skulpturen und Bildern.


 
Beiden gefällt es in der Siedlung, „weil man hier so schnell miteinander ins Gespräch kommt und trotzdem für sich sein kann“. Mit den Nachbarn – darunter eine frisch zugezogene nordafrikanische Familie – haben sie ein friedliches Auskommen und „Querulanten geht man halt aus dem Weg“.
 
So hält es auch Edgar Neudeck: „Wenn du jemandem freundlich begegnest, vergisst er das Schimpfen“, sagt der Rentner, für den die Siedlung „einfach Heimat“ ist. Auch wenn in der ganzen Zeit „praktisch nichts gerichtet“ worden sei, auch wenn die auf zwei Geschosse verteilten, 43 Quadratmeter kleinen, ziemlich maroden Behausungen keinerlei Komfort aufweisen – teilweise nicht einmal eine Dusche. Früher, erinnert er sich, habe es im Hausmeisterhaus eine Waschküche und Badewannen gegeben – das Wasser holte man an einem öffentlichen Brunnen an der Böschung zur Schwarzwaldstraße. Doch nicht nur wegen der Erinnerungen kann er sich keine andere Heimat als die Knopfhäusle vorstellen: Eine höhere Miete kann der Rentner, der fast 40 Jahre als Landwirtschaftsgehilfe an verschiedenen Orten im Schwarzwald arbeitete, nicht aufbringen.
 
Künstler Adil Kar will das Viertel mit seiner Kunst bereichern.

Künstler Adil Kar will das Viertel mit seiner Kunst bereichern.


 
Auch für Adil Kar ist sein Häuschen zur Heimat geworden. Obwohl er erst vor acht Jahren hierher gezogen ist. Er kommt aus Istanbul, ist aber schon seit 35 Jahren in Deutschland. Er hat die Wohnung mit Genehmigung der Stadtbau selbst umgebaut und auch das Gärtchen so gestaltet, dass es zwischen den anderen auffällt: Der 60-jährige Künstler hat dort einen Teil seiner Werke aufgestellt. Nicht nur, weil so wenig Platz im Häuschen ist, das er auch als Malwerkstatt nutzt: Er „wollte das Viertel bereichern“ – mit einem Blickfang, der dazu einlädt, ein paar Minuten innezuhalten und abzuschalten. Das ist ihm gelungen: Im Vorbeigehen sieht man immer Leute, die stehen und staunen. Und mit ihm und den Nachbarn ins Gespräch kommen. Da habe es schon viele schöne Augenblicke gegeben, sagt er. Und: „Man muss kreativ denken.“ Das gilt für alle „Knopfhäusler“: Ohne eine gewisse Kreativität kämen sie in der idyllischen Oase aus vergangener Zeit hier nicht so leicht zurande.
 
Text und Fotos: Erika Weisser
 
 
Quo Vadis Knopfhäuslesiedlung – Erster Antrag auf Landeszuschüsse gescheitert
 
Die Knopfhäusle-Siedlung wurde von 1870 bis 1889 als Arbeitersiedlung der ehemaligen Rislerschen Knopffabrik am Rande des Alten Messplatzes gebaut. Eigentümerin ist die Freiburger Stadtimmobilien Gmbh & Co. KG, seit 2013 eine hundertprozentige Tochter der Freiburg Stadtbau GmbH (FSB). Da die seit 1983 denkmalgeschützten Häuser mit insgesamt 102 Wohnungen mittlerweile in einem desolaten Zustand sind – seit 1928 war die Freiburger Stadtverwaltung für sie zuständig –, müssten sie dringend saniert werden.
 
Das geht für FSB-Chef Ralf Klausmann nur mit öffentlichen Zuschüssen, um auch nach der Sanierung moderate Mieten anbieten zu können. Ein erster Antrag über das von Bund und Land ausgeschriebene Programm „Soziale Stadt“, das 35 Prozent der veranschlagten 4,25 Millionen Euro Sanierungskosten bezuschussen würde, scheiterte in diesem Jahr. Die Stadtverwaltung schickt den zweiten Antrag in diesen Tagen erneut raus.
 
„Wir wollen da viel mehr machen, als nur Maler hinschicken“, sagt Klausmann. Es gelte, ein Konzept umzusetzen, das neben der obligatorischen energetischen Sanierung auch durchmischte Strukturen, Flächen auch für Familien oder Generationenwohnen schaffen könne, das soziale Einrichtungen einbeziehe, neue Grundrisse ermögliche und die Freiflächen aufwerte. Wenn die Zusage im Frühjahr nun komme, will Klausmann das direkt anpacken. Die Sanierung werde maximal fünf Jahre dauern.
 
Text: Lars Bargmann