Diagnose Down-Syndrom: Freiburger Familien erzählen im chilli über ihre Kinder STADTGEPLAUDER | 17.06.2017

Ein winziges Chromosom, das alles verändert: Alle drei Minuten kommt ein Baby mit Down-Syndrom zur Welt. Allein in Deutschland werden jährlich etwa 1200 Kinder damit geboren. Deutlich mehr werden abgetrieben. Experten schätzen, dass mittlerweile neun von zehn Frauen abbrechen. Doch es gibt auch Familien, die sich bewusst für ein Kind mit Down-Syndrom entscheiden. Mit drei solcher Familien aus Freiburg hat chilli-Volontärin Isabel Barquero gesprochen.

Herzlich: Menschen mit Down-Syndrom sind anderen gegenüber sehr offen und strahlen Lebensfreude aus.

Paul* ist 16 Monate alt. Mit seinem fröhlichen Lachen und seinen lustigen Grimassen bringt er die Menschen um sich herum zum Schmunzeln. In solchen Momenten ist seine Mama Lena Schneider* besonders stolz auf ihn: „Er ist so ein selbstzufriedenes und ausgeglichenes Kind.“ Schon bevor Paul auf die Welt kam, stand fest: Er wird das Down-Syndrom haben.

Aufgrund des überzähligen Chromosoms (siehe Infobox) hat Paul körperliche Besonderheiten, die ihn von anderen unterscheiden. Nicht nur was das Aussehen betrifft, er entwickelt sich auch langsamer. Während andere Kindern in seinem Alter schon laufen, kann er weder krabbeln noch sitzen. „Der größte Unterschied ist, dass er eine verminderte Muskelspannung im Körper hat“, erzählt Schneider, „die macht es ihm schwer, gewisse Dinge zu lernen. Er muss sich immer alles hart erarbeiten.“

Die geistigen Fähigkeiten der Kinder weisen hingegen eine enorme Spannbreite auf: Sie reicht von schwerer Behinderung bis hin zu einem fast normalen Leben. Wie sich das Kind entwickelt, lässt sich während der Schwangerschaft noch nicht sagen. Denn die Entwicklung jedes Kindes – mit oder ohne Down-Syndrom – hängt von vielen Faktoren ab. Trotzdem ist die Angst vieler Eltern groß. Nach Experten kommt nur eines von zehn Kindern mit Down-Syndrom auch zur Welt.

Auch für Schneider war die Nachricht ein Schock: Sie gehörte damals nicht zur Risikogruppe der Spätgebärenden ab 35. Trotzdem erhielt sie nach dem ersten Schwangerschaftsdrittel die Diagnose. „Bei einer Ultraschalluntersuchung war die Nackenfalte erweitert. Daraufhin wurde uns empfohlen, das Ersttrimester-Screening durchzuführen.“ Die Wahrscheinlichkeit lag bei 3 zu 1 für Trisomie 21. Dann machte die heute 36-Jährige den 2012 eingeführten PraenaTest. Ein Tropfen Blut der Mutter genügt, um die Frage nach Chromosomenstörungen zu klären.

Der umstrittene Test könnte schon bald eine Kassenleistung sein, aktuell befasst sich der Gemeinsame Bundesausschuss, ein Gremium aus Ärzten und Krankenkassen, mit dem Thema. Doch nicht alle Ärzte wären damit einverstanden. „Der Bluttest ist ohne jeden therapeutischen Nutzen, er kann deshalb keine Kassenleistung sein“, sagt etwa Silke Koppermann, Gynäkologin und Sprecherin des Netzwerks gegen Selektion durch Pränataldiagnostik. Der Auftrag an Ärzte sei es, Schwangere zu begleiten und für ihre Gesundheit zu sorgen. Die Suche nach dem Down-Syndrom oder anderen Chromosomenbesonderheiten gehöre nicht zum ärztlichen Heilauftrag.

Zehn Tage musste Schneider auf das Ergebnis warten: „Diese Ungewissheit für so lange Zeit war furchtbar.“ Über einen Abbruch dachte sie kurz nach, doch eigentlich war er für sie nie eine Option. Sie wusste: „Egal, wie ich mich entscheide, es wird mich bis an mein Lebensende begleiten.“ Denn auch eine Spätabtreibung sei traumatisierend und nicht immer der einfachere Weg.

Dennoch grenzt sie ein Großteil der Gesellschaft aus. Downies – wie sie sich untereinander nennen – werden oft allein gelassen, einziger Halt ist lediglich die Familie.

Auch für Simone Elsner kam Abtreiben nie in Frage. Bei der 44-Jährigen lag das Risiko aufgrund ihres Alters bei 1 zu 80. Sie hat sich trotzdem gegen die Tests entschieden: „Man kann sich zwar auf eine Art vorbereiten, aber die ganzen Infos machen einen auch verrückt.“ Beim Kennenlernen ist ihre zweijährige Tochter Mira etwas verschlafen und total verschmust. Während sie in den Armen ihrer Mutter langsam wach wird, fällt etwas an ihr sofort auf: Sie „luftschnullert“, sie nuckelt, obwohl sie gar keinen Schnuller im Mund hat. Wenn Elsner die Kleine anschaut, fragt sie sich: „Wieso sollte es die Mira nicht geben?“

Paare können sich während der vorgeburtlichen Untersuchungen beraten lassen. In Freiburg gibt es dafür bereits seit 15 Jahren „donum vitae“. Dort beraten zwei hauptamtliche Mitarbeiterinnen Schwangere und Paare. Elisabeth Baumstark-Biehl ist für den Bereich der Pränatal-Diagnostik zuständig. Die Ängste sind dabei oft sehr ähnlich: Hält die Partnerschaft das aus? Hat man die Kraft, sich um ein Kind mit Down-Syndrom zu kümmern? Was wird aus dem Kind, wenn man nicht mehr da ist? „Wenn ein Paar das Gefühl hat, wir schaffen das, dann ist das natürlich etwas sehr Schönes. Gerade weil man weiß, dass Kinder mit Down-Syndrom etwas ganz Besonderes sind“, sagt Baumstark-Biehl. Im vergangenen Jahr hätten sich drei Frauen für ein Kind mit Down-Syndrom entschieden.

Ein Kind mit Behinderung abzutreiben, sei nach wie vor ein Tabu-Thema. „Viele Paare behalten es lieber für sich“, so die 59-Jährige. Für trauernde Eltern gibt es bei „donum vitae“ Gesprächsgruppen. Familie N. berichtet dort: „Uns hat es die Sprache verschlagen, als wir von der Diagnose erfuhren. Trauer um unser Kind konnten wir erst nicht zulassen, weil wir uns schuldig fühlten für unsere Entscheidung. Wir hatten Glück, jemanden zu treffen, der offen über den Abbruch gesprochen hat. Es hat uns geholfen, die Sprache wiederzufinden und zu erzählen.“

Neben Selbsthilfegruppen gibt es mittlerweile auch viel Literatur zum Down-Syndrom. Der Freiburger rap verlag hat im vergangenen Jahr ein Buch veröffentlicht, in dem betroffene Familien zu Wort kommen. Katharina Schäfer, Autorin aus Freiburg, übernahm die Projektkoordination für „Wir leben mit Down-Syndrom“. „Ich war sehr beeindruckt, wie groß die Vielfalt der Geschichten ist“, erzählt die 42-Jährige. „Jeder Mensch mit Down-Syndrom ist eine Bereicherung für die Gesellschaft.“ Was aber auch deutlich wurde: Behörden, Ämter und andere Einrichtungen lassen viele Familien mit dem Thema alleine. Man müsse einiges leisten, „um gut beraten zu sein und sich die nötigen Kontaktadressen zu verschaffen“, so Schäfer. Vor allem auf dem Land seien meist kaum Angebote vorhanden.

Auch Anna-Lena Wagner, Mutter einer Achtjährigen mit Down-Syndrom, findet das problematisch: „Es gibt generell in deutschen Städten keine ausreichende Unterstützung. Es gibt nichts Einheitliches. Es sagt dir auch niemand, was dir zusteht an Geldern. Das muss man sich alles selber erarbeiten.“

Geholfen habe der 31-Jährigen der Kontakt zu anderen Eltern. Sie ist heute im Vorstand des Vereins „miteinander – Menschen mit Down-Syndrom und ihre Freunde“, einer Selbsthilfegruppe von Eltern aus Freiburg und der Region, deren Kinder Down-Syndrom haben. Mehr als 100 Familien sind dabei. Neben Elternstammtischen organisiert der Verein auch Schul- oder Themenabende. Es werden Informationen über Fördergelder oder sonstige Hilfen und Kontakte zu Ärzten, Logopäden oder Physiotherapeuten vermittelt. Was staatliche Stellen nicht leisten würden.

Auch wenn es vielen Betroffenen nicht leicht gemacht wird, so ist Freiburg doch eine tolerante Stadt fürs Thema Down-Syndrom. Das Wichtigste aber sei, so Wagner, „dass man weiß, dass ein normales Familienleben möglich ist, dass man viele schöne Momente hat und diese auf jeden Fall überwiegen.“

* Namen von der Redaktion geändert

Katharina Schäfer
Wir leben mit Down-Syndrom – Menschen mit Trisomie 21 und ihre Familien erzählen
rap verlag, 2016
288 Seiten, gebunden

Text: Isabel Barquero / Fotos: © Nathan Anderson/unsplash

Down-Syndrom: Zahl der Abtreibungen

Beim Down-Syndrom liegt das 21. Chromosom – daher Trisomie 21 – nicht wie gewöhnlich zweifach, sondern dreifach vor. Eins von 600 bis 700 Neugeborenen hat diese genetische Besonderheit. In Deutschland leben etwa 50.000 Menschen mit dem Down-Syndrom. Weltweit sind es rund fünf Millionen.

Laut statistischem Bundesamt wurden 2016 in Deutschland allgemein insgesamt rund 98.700 Schwangerschaften abgebrochen. Davon waren 630 Spätabtreibungen nach der 22. Schwangerschaftswoche. Im Vergleich: Vor zehn Jahren waren es 183. Allerdings ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Ein Abbruch nach der 22. Woche ist nur dann erlaubt, wenn eine medizinische Indikation besteht, also die Gesundheit der Mutter gefährdet ist. Zu diesem Zeitpunkt wäre das Kind schon außerhalb des Mutterleibes überlebensfähig.

Ein Abbruch nur wegen einer Behinderung des Kindes ist seit 1995 verboten. Dennoch brechen 90 Prozent der Schwangeren ab, wenn Ärzte Behinderungen beim Kind – wie etwa das Down-Syndrom – feststellen.

Text: iba