Heuschrecke auf Brot: Freiburger Hobby-Züchter serviert Insekten STADTGEPLAUDER | 09.06.2017

Insekten gelten als Nahrungsmittel der Zukunft. Sie sind günstig, nahrhaft und ressourcenschonend. Aber schwer zu halten – weiß der Freiburger Michael Schwiening. Er züchtet sie als Nahrungsmittel. Und hat chilli-Redakteur Till Neumann zu einer eklig-leckeren Mahlzeit eingeladen: Heuschrecke auf Brot. Und Schokoheuschrecke am Spieß. Eine Bildergalerie zur Heuschrecken-Mahlzeit gibt’s am Ende des Artikels.

Michael Schwiening in seiner Küche

Der erste Biss ist gar nicht so schlimm. Das Hinterteil der knusprig gebratenen Tierchen geht gut runter. Noch dreieinhalb Heuschrecken liegen mit gerösteten Zwiebeln, Knoblauch und Petersilie auf meinem Brot. Dann geht’s an den Kopf mit den großen roten Augen: „Reine Kopfsache“, sagt Michael Schwiening und lacht.

Der 35-Jährige weiß, was ich durchmache. Seine erste Heuschrecke war ein halbstündiger Kampf: „Hin zum Mund, wieder weg, wieder hin, wieder weg“, erinnert er sich. Vor rund zwei Jahren war das. Eine Internetlaune. Schließlich machte der Pädagoge und Berufsmusiker kurzen Prozess: „Ich habe schnell draufgebissen, alles runtergeschluckt und den Rest der Mahlzeit weggeworfen“, sagt er und grinst.

So weit soll es bei meinem ersten Mal nicht kommen. Also beiße ich vorsichtig auf den alienartigen Kopf mit den langen Fühlern, höre es knirschen und denke an was Schönes. Chips, Flips, Salzstangen. Kurz winde ich mich, dann ist es geschafft. „Super“, lobt Schwiening und beißt herzhaft ins Brot. „Du wirst sehen, man gewöhnt sich dran.“

Nur wenige Meter neben dem Esstisch steht ein Terrarium. Darin züchtet Schwiening seit rund einem Jahr Heuschrecken. 20 Stück hat er sich davon in der Zoohandlung geholt. Um sie zu essen. Viel brauchen die Tierchen nicht: ein bisschen Gemüse ab und zu. Und Wärme. Zunächst vermehrten sie sich prächtig. Aus 20 wurden schnell 600. Doch dann kamen Milben. „Die hingen am Bauch der Heuschrecken, ich wusste nicht, was ich tun soll“, erzählt Schwiening. Ein Tier nach dem anderen fiel tot um. „Die Milben haben eine ganze Generation ausgelöscht“, sagt der Mann mit den zwei Zöpfen im Bart. Keine einzige Heuschrecke überlebte.

Zum Essen gern: Der Berufsmusiker züchtet Heuschrecken zum Verzehr.

Aufgeben wollte er nicht – also holte er sich erneut 20 Stück. Vermehren möchten die sich derzeit nicht. Dabei ist die Formel einfach: „Fressen, fressen, fressen, poppen, poppen, poppen“, fasst Schwiening zusammen. Doch das klappt nicht: Seine Heuschrecken wachsen derzeit nicht – und poppen auch nicht. Er glaubt, es ist noch zu kalt. Warten ist angesagt.

Fürs Probeessen hat er deswegen lebende Heuschrecken gekauft. 20 Stück für acht Euro. Satt wird man davon nicht. Höchstens ein kleiner Snack, warnt er mich vor. Für eine ganze Mahlzeit könne man locker 140 Euro hinblättern. In der eigenen Zucht kostet das dafür fast nix. Die Tierchen fressen sogar Biomüll.

Die lebenden Heuschrecken brauchen vor dem Verzehr einen Diät-Tag, berichtet der Hobbyzüchter. Damit sie den Darm entleeren – sonst schmecke es nach Meerschweinchenkäfig. Danach legt er sie für 24 Stunden in den Kühlschrank. „Sie fallen erst in den Winterschlaf und sind dann irgendwann tot“, erklärt er. Recht schmerzfrei sei das.

Mit Glasur: Zum Nachtisch werden die Tiere in Schokolade getunkt.

Für die Zubereitung holen wir die Tiere aus dem Kühlschrank und reißen Flügel und Hinterbeine ab. Schon da schüttelt’s mich als Vegetarier. „Zum Fleischessen gehört das Schlachten“, erklärt Schwiening und schüttet die Heuschrecken ins heiße Wasser. Dort bekommen sie eine leicht rötliche Farbe – etwa wie Fisch. Danach spült er sie unter kaltem Wasser ab, brät sie in Erdnussöl an und würzt das Ganze: „Da kann man Gas geben, nach viel schmecken die ja nicht.“ Mit Zwiebeln, Knoblauch und Petersilie kommen sie aufs Brot.

Als ich die ersten vier verputzt habe, gibt’s noch einen Nachtisch: Wir tunken die Heuschrecken in heiße Schokolade. Sogar die Fühler werden glasiert. „Mit Zucker fängst du Mäuse“, sagt Schwiening. Er hat in seiner Wohnung noch ein weiteres Terrarium. Darin lebt eine Vogelspinne. Auch sie mag die Heuschrecken. „Wenn ich ihr eine reinwerfe, wackelt sie ganz aufgeregt mit dem Hinterteil“, berichtet er. Ganz so gierig bin ich nach dem ersten Mal nicht. Wieder tun würde ich’s trotzdem. Der Hobbyzüchter hat recht: Reine Kopfsache mit dem Kopf. Und umweltschonend sowieso: Etwa 15 Liter Wasser braucht’s, um ein Kilo Insekten zu züchten. Für ein Kilo Rind sind es 15.000 Liter.

Update (9. Juni): Wenige Tagen nach Erscheinen des Berichts haben die Heuschrecken begonnen sich zu vermehren. „Es lag wohl wirklich an der Kälte“, sagt Michael Schwiening und freut sich über hundertfachen Nachwuchs.

Verbotener Snack

Insekten zu essen ist in der EU bislang verboten. Denn die Risiken (Schadstoffe, Allergene, Krankheitserreger) sind nicht ausreichend erforscht, heißt es. Insekten können aber als Tierfutter in Zoohandlungen gekauft werden. In der Schweiz ist der Verzehr seit Mai jedoch erlaubt. Insektenburger und Co. gibt’s damit bei den Eidgenossen jetzt auch im Supermarkt. In Belgien und den Niederlanden ist der Verzehr ebenfalls möglich. Die EU-Richtlinie wird dort großzügiger ausgelegt.

Bildergalerie

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Text & Bilder: Till Neumann